Montag, 9. Februar 2009

Eindrücke einer Reise - die meiner Schwester

Über Neujahr war sie da und ich habe sie gebeten davon zu schreiben:

Zwölf Tage Türkei liegen vor mir, von denen ich keinerlei Vorstellung habe, nicht weiß, was ich erwarten soll von dem Land, von dem jeder so vollkommen verschiedene Ansichten hat. Ich sollte mir selbst ein Bild machen.
Die erste Nacht verbringen wir, anders als geplant, in einer völlig verlassenen Wartehalle einer türkischen Busreisefirma am Istanbuler Busbahnhof. Wir warten auf den 6-Uhr Bus. Es ist eins.
Wir versuchen zu schlafen, als Decke nehmen wir unsere Jacken, die bei Minustemperaturen im zweistelligen Bereich nur dürftig ihren Zweck erfüllen. Ich habe Durst. Die beiden Männer, die schweigend ihre Nachtschicht absitzen geben mir Wasser, das ich aus einer Art Joghurtbecher trinke.
Ich kann endlich einschlafen. Als ich aufwache bringt meine Schwester mein erstes türkisches Frühstück. Simit, eine Art Gebäckring und Pfirsichsaft.
Endlich fährt der Bus ab. Ich schaue aus dem Fenster. Überall sehe ich gelbe Lichter, beleuchtete Moscheen und endlich, den Bosporus.
Wir fahren weiter. Während der 6-stündigen Fahrt halten wir zweimal an. Wir essen unser zweites Frühstück an diesem Tag. Es ist der letzte in diesem Jahr.
Wir fahren durch die Berge und kommen endlich in Eskisehir an. Es ist anders. Überall sind Menschen. Wenn man kurz stehen bleibt und inne hält, kommt es einem vor, als befinde man sich in einem riesigen Gewusel. Es ist nicht voll, nur belebt.
Wir nehmen den Bus zur Wohnung.
Später holt uns Selcuk ab. Wir sitzen zu sechst im Auto. Es wird geredet, Türkisch, Englisch, Deutsch.
„Selcuk, ich darf doch eigentlich gar nicht mit ins Waisenhaus.“ Er lacht und antwortet: „Du bist Ebru und redest nicht gerne.“ So funktioniert das.
Die Mädels warten schon. Sie umarmen mich, obwohl sie keine Ahnung haben, wer ich bin. Die Freude über den Besuch steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie reden mit mir.
Ich sage nur „Ich kann kein Türkisch“. Sie reden weiter. Fragen mich Dinge, die ich nicht verstehe.
Meine Schwester erklaert: „Sie ist meine Schwester und kann kein Türkisch“. „Ah echt? Deine Schwester?“ und wieder versuchen sie, mit mir zu sprechen. Ich lache.
Allmählich kommt auch der Rest von ESMAD, verbringen selbstverstaendlich einen Teil ihres Silvesterabends mit den Maedchen.
Die Mädchen vertrauen ihnen, man sieht das.
Der Abschied von den Mädchen dauert lange, Küsschen links, Küsschen rechts, Umarmung und ein paar Worte. Und noch ein paar. Sie wollen nicht, dass wir gehen.
Danach fahren wir mit ESMAD in eine Bar und verbringen einen unvergesslichen Silvesterabend (Noel). Gegen 3 Uhr werde ich nach Hause gebracht, die anderen verbringen die Nacht in der Hütte in den Bergen, aber ich bin einfach zu müde.
Ich werde begleitet, zur Tür. „Ich bring dich noch hoch.“, sagt Süleyman, und ich erwidere, dass es nicht nötig sei. „Bist du sicher, dass du die Wohnung findest?“ Ja, sage ich und bedanke mich. „Und falls du etwas brauchst, hast du ein Handy?“ Ja, sage ich erneut und wünsche eine gute Nacht. Ich bin schon fast oben, da ruft Süleyman: „Und die Nummer hast du auch?“ Ich muss lachen. Ja, ich hab die Nummer.
Ein neues Jahr.
Die nächsten Tage verbringen wir bei Freunden oder Bekannten, in der Uni oder in der Stadt. Ich lerne den türkischen Alltag kennen. Abends essen wir meistens bei ESMAD-Leuten.
„Das macht man hier so, man lädt die Leute immer ein, wenn man gerade kocht“, wird mir erklärt.
Wir betreten Ferits Wohnzimmer. Als wir reinkommen, ist kaum noch Platz. Aber man findet doch überall einen Platz. „Passt nicht mehr“ gibt es hier nicht. Das sieht man nicht nur an den Menschenmengen in der Straßenbahn. Wir essen auf dem Boden. Reden, lachen und essen. Und trinken. Raki.
Meistens weiß ich nicht, was ich gerade esse. Aber es schmeckt. Immer.
In der Mitte des Zimmers liegt ein großes Leintuch auf dem wir essen. Als wir fertig sind, wird es zusammengefaltet und über dem Fenster ausgeschüttelt.
Mehr als ein Duzend Leute sitzen im Wohnzimmer und unterhalten sich angeregt über Dinge, die ich nicht verstehe.
Wir schauen einen Film. Ferit stellt ihn auf Englisch. Für mich. Obwohl ich es gar nicht verlange. Ich weiß, dass die anderen nicht alle Englisch können, und trotzdem sagen sie nichts. Untertitel Türkisch.
Die nächsten Tage geht meine Schwester mittags arbeiten. Ich freue mich, dass sie endlich ihre Arbeitsgenehmigung bekommen hat und endlich im Waisenhaus anfangen kann.
Morgens gehen wir auf den Markt, an die Uni, fahren nach Seyitgazi.
Mittags schaue ich mir die Stadt an, gehe bummeln und finde mich so langsam sogar etwas zurecht..
Wir wollen in eine Shishabar. Vorher gehen wir noch in einen Buchladen. Wir treffen zwei Freunde. Sie fragen, was wir vorhaben und beschließen kurzerhand, mitzukommen. Später gehen wir zusammen auf ein Konzert.
Die anderen Abende verbringen wir ebenfalls mit ESMAD bei Schneeballschlachten oder in Teehäusern.
Es hat geschneit. Viel. Zu viel um am Wochenende nach Pamukkale zu fahren. Der Schnee wird nicht geräumt. Er bleibt in den Straßen liegen, bis er nach einigen Tagen zu grauem Matsch und riesigen Pfützen dahinschmilzt, die nicht mehr abfließen.
Die Woche ist fast zu Ende. Die Zeit vergeht so schnell. Es war wie ein kurzer Einblick in ein anderes Leben.
Aber ich freue mich auf die verbleibenden drei Tage. Drei Tage Istanbul.
Ungeplant und doch intensiv verbringen wir unsere Zeit in Istanbul – ich nenne es türkisch.
Wir kommen an und nehmen die Straßenbahn zur blauen Moschee. Eine Unterkunft haben wir noch nicht. Wir verschaffen uns einen Überblick und kaufen Tickets für ein Schiff. Wir wissen nicht, wohin das Schiff fährt, bleiben einfach sitzen, in der Hoffnung, dass es wieder an die selbe Station zurückfährt. Wir haben Glück.
Während der Fahrt genießen wir den Sonnenuntergang und füttern die Möwen, die unserem Schiff folgen. Ein Mann füttert sie mit Brot. Unsere Kekse mögen sie auch.
Wir laufen noch ein wenig durch die Stadt und entdecken den „Großen Markt“, den größten Mark der Türkei. Die Leute sprechen uns an, laufen uns hinterher. „Hallo, sind sie aus Deutschland? Süden? Norden?“ An jedem Stand das gleiche Spiel. Sobald meine Schwester auf Türkisch antwortet, sind sie ruhig. Oder es weckt ihr Interesse noch mehr. „Woher kannst du Türkisch? Bist du Studentin?“
Am nächsten Tag beginnen wir unsere Sightseeing-Tour. Die blaue Moschee, die wir nur barfuss und mit Kopftuch betreten dürfen, die Hagia Sofia, für die wir eine Führung eines pensionierten Architekten buchen, der, wenn man seinen Erzählungen glauben schenken darf, die Turnhalle in Fellbach und viele andere Sachen in Deutschland entworfen hat.
Ich essen gerösteten Mais von einem Straßenstand und genieße die Sonne, die mich zusätzlich beglückt.
Wir machen eine Stadtrundfahrt und besichtigen den versunkenen Palast. Später am Abend gehen wir noch zum Topkapi Palast. Meine Schwester trifft dort zufaellig auf Bekannte.
Wir besuchen den Gewürzmarkt und beenden den Abend mit einem Eis bei McDonald. So klingt mein letzter Abend in der Türkei also aus. Quasi eine Mischung aus orientalischer und westlicher Welt. Ich habe mir selbst ein Bild gemacht. Dieses.

Samstag, 24. Januar 2009

Eine Stadt: Seyitgazi, Vergangenes aufarbeiten (2)

Eine halbe Stunde fahren wir mit dem Bus, vor der Haustüre hat er gehalten, durch eine Landschaft die geprägt ist von Vergangenheit, die ein Mensch kaum erfassen kann. Und links und rechts der Straße fliegen immer wieder Häuser vorbei, Häuser, die stehen ohne das man weiß warum, mit Dächern, die die Bewohner wohl frieren lassen.

Mit meiner Schwester will ich mir die alte Moschee anschauen, eine der ältesten, die zu finden sind. Früh morgens kommen wir an, vielleicht um neun, so früh, dass die kleine Stadt, sehr kleine Stadt, noch schläft, Nebel über ihr liegt, zu früh für die Türkei in dieser Welt. Auf einem Hügel, bewachsen von grauem, trockenen Gras liegt sie ruhig über die Stadt, vergessen, stiller als still, schaut nach unten und scheint in sich selbst versunken. Ein einzelnes Schild weist in Richtung Stadtzentrum, ein trockener Platz, in dessen Mitte verlassen ein Atatürk Denkmal steht, die Straße dorthin gesäumt von kleinen Kaffe- und Teehäusern, düster, verraucht, die Fenster, Schaufenster trübe. Wir laufen los, ohne zu wissen wohin, neben der Straße ein kanalisierter Bach, Steinmauern, es kräht ein Hahn und ein Mann kommt uns entgegen. Er zeigt uns den Weg nach oben, zu ihr, der Moschee, er müsse zur Arbeit, sonst würde er uns gerne begleiten. Treppe nach oben, Ausblick über das verlassene Dorf mit einstöckigen Häusern, bunt getüncht, dort rosa, dort lavendel, dort mintgrün, Rauch aus Schornsteinen, auf der anderen Seite ein Berghang, in weißen Kieseln der türkische Halbmond gelegt.

Wir betreten das Gebäude, eine ganze Anlage mit Mittelhof, gesäumt von Gräbern, Lehrräumen, Gebetsraum, Bäckerei...und der eigentlichen Moschee selbst. Du stehst da, Ruhe, Ruhe, Hinweisschilder, die die arabischen Inschriften auch auf englisch übersetzen und doch scheint es so, als ob hier schon lange kein Mensch mehr gewesen sei, als ruhe etwas für sich selbst, das Alter nicht zu fassen, die Aussicht ins Nichts nimmt dich mit.

Es ist Januar und Frost bedeckt die Wiese, die kahlen Bäume auf dem Hügel außerhalb der Moschee, wir steigen ihn hinauf, einen Weg gibt es nicht, oben ein Bildnis Atatürks, die rote Flagge mit dem weißen Halbmond daneben weht langsam im Wind, fällt immer wieder in sich zusammen. Weiße, vor langer Zeit von Menschen bearbeitete Steine liegen da, Schädelknochen von Tieren, vereinzelt, vielleicht Ziegen, Stacheldrahtzaun und Niemandsland.
Auch einen Piknikplatz gibt es, Bänke, Tische, einen Brunnen, wohl für Besucher im Sommer, schwer vorzustellen, dass es hier lauter sein kann als still.

Zurück in der Stadt, wir wollen Tee trinken bis der Bus kommt, da treffen wir erneut auf den Mann vom Morgen, er nimmt uns mit in den Friseursalon seines Freundes, ein einfacher Raum, ein wenig dunkel, zwei große Spiegel an der einen Wand, ein altes Sofa an der anderen und in der Mitte des Raumes ein vom Ruß geschwärzter Holzofen. Nach draußen wird gewunken, zwei Minuten später kommt unser Tee, silbernes Tablett mit zwei langen Drahthenkeln zum tragen. Der Frisör packt seinen Labtop aus, wir reden ein wenig. Aus der Stadt kommt er, dort hat er noch einen Frisörsalon, hier ist er unter der Woche, am Wochenende in Eskisehir. Frauenfriseur sei er, momentan sitzen wir jedoch im Mänerfrisörsalon, so ist das, ein Kunde kommt. Wir gehen als es hupt, so laut dass die ganze Stadt weiß: Gleich fährt der Bus. In die Stadt. Nach Eskisehir.

Mittwoch, 14. Januar 2009

Mein "Noel", Vergangenes aufarbeiten (1)

Die für mich wohl unbedingt wichtigste Sache soll am Anfang genannt werden. Meine Arbeitsgenehmigung, oder das Papier, das mir endlich den legalen Eintritt ins Waisenhaus genehmigt, ist da – seit dem 24. Dezember und somit haben mir die türkischen Behörden auch trotz des nicht gefeierten Festtages ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk gemacht.

So ganz richtig ist die Aussage bezüglich Weihnachten dennoch nicht. In den letzten Dezembertagen sind zunehmend mehr Lichterketten aufgetaucht, Plastikweihnachtsbäume mit bunten Kugeln hinter denen ein fröhlich winkender Nikolaus den Passanten zuwinkt hielten Einzug in den Schaufenstern und das Wort „Noel“* ist im Sprachwortschatz der Türken aufgetaucht. Und es hat mich verwirrt, vor allem wenn auf Englisch von „Christmas“ gesprochen wurde, von dem Plan für diesen Abend und das auch noch nach dem 24. Dezember.
Gefeiert haben wir „Noel“ dann zweimal. Die erste, für uns terminechte Feier bei uns zu Hause, zu der Raima, meine litauische Mitfreiwillige eingeladen hat, mit Oblaten, viel Salat, und kleinen Geschenken und ein zweites Mal an unserem Sylvester, das hier den Namen Weihnachten tragen darf.

In einem dreistöckigen Lokal (fast jedes Lokal hat mehrere Stöcke oder Hinterräume, von denen man vielleicht wissen muss um die Treppe zu finden, die dorthin führt, auch wenn sie offensichtlich am Raumende auf Besucher wartet; dafür sind die einzelnen Stockwerke dafür meistens klein, übersichtlich), oben, mit Essen, das über den ganzen Abend dauert, deshalb, weil man immer dann isst, wenn man Lust hat, immer dann, wenn man eben wieder etwas auf seine Gabel spießen will, und zwischendurch Tanz, Alkohol, viele Fotos und Lachen im ESMAD-Kreis. Ein Geiger, einer, der ein uns unbekanntes, Sopransaxophonähnliches Instrument spielt, einer mit Tamburin laufen zwischen den Tischen, spielen fröhlich die von den Feiernden in die Runde geworfenen Lieder und viele mehr, warten auf Tanzende und gesellen sich neben dich wenn du nicht mehr sitzt. Und dann immer wieder doch hinsetzen, vielleicht ein bisschen essen um für das nächste Lied gleich wieder aufzustehen.
Um zwölf kein Feuerwerk, nicht nach draußen gehen - vielleicht hat bei den vorherrschenden minus zwanzig Grad auch einfach keiner große Lust dazu – dafür aber mit bunter Folie beklebte, kegelförmige Hüte, Tröten in passender Farbe, die sich war entrollen aber keinen Ton von sich geben und Masken, die, die für dich Augen nur schmale Schlitze lassen, über der Nase aufhören und bogenförmig in Richtung Ohr spitz zulaufen.

Und dann wäre ESMAD nicht ESMAD wenn man danach nach Hause gehen würde.
Wir haben in den letzten Wochen, erst in dreitägiger Arbeit mit Camp, danach weitere drei Einzeltage Selcuks Hütte fertig gebaut, dort, wo sie tatsächlich stehen soll: In der Ruhe selbst, an einem kleinen Bach, der fröhlich über graue Steine plätschert und so den ein oder anderen natürlichen Whirlpool geschaffen hat, der im Sommer schon auf uns wartet, dort, wo ich mein Wasser aus dem fünfhundert Meter entfernten Brunnen an der Straße, die über den Berg führt holen kann, Wasser vom Berg, dort wo noch Bären leben sollen, was Selcuk jedem, der schnell Angst vor nächtlichen Angriffen bekommt, lachend erzählt, dort, wo man früh morgens Frauen mit ihren Eseln Holz aus dem Wald holen sehen kann, dort, wo das Leben einen anderen Rhythmus hat – und einen anderen Wohlstand.
Um drei oder vier nachts sind wir dorthin aufgebrochen, im langsamen Tempo über die von Schnee bedeckten Straßen, bei Kälte, die dir die Luft abschneidet, wenn du kurz die Autotüre öffnest, weil man durch die beschlagenen Scheiben nicht erkennen kann, wie weit das Auto der anderen hinter uns entfernt ist. Fußweg durch Schnee und Natur zur Hütte, dann zu fünfzehnt auf sieben Quadratmetern sitzend, redend, erzählend, lachend mit Petroleumlampe und Teelichtern, dann auf zwei Stöcke verteilt wie Sardinen in einer Dose, aber noch lebend, schlafend. Morgens aufstehen, gehen, gehen und mit Tomaten und Salat von den ansässigen, Landwirtschaft betreibenden Menschen wieder zurückkommen, essen.
Wir fahren wieder, in das Tal auf der anderen Seite, dort wo ein Klima wie am Mittelmeer, wie in Antalya herrscht, dort wo sich am Sakarya Felder säumen, halten dort, reden mit einem Mann, der mit Katzen in einer Hütte mit drei Wänden neben seinen Feldern wohnt, pflücken Spinat und Salat, lassen uns seine Gewächshäuser zeigen, die so simple und geniale Funktionen haben – er sagt: was soll er woanders. Hier hat er Fisch und Tomaten umsonst. Danach Hamam in Saricakaya, wo eine natürliche, mineralreiche Quelle ist, Hamam, das türkische Bad, was jeden wieder aufwärmt, Pide mit Käse und dann die Rückfahrt bereits im Dunkeln.

Meine Schwester war da, über Noel, der Plan nach Pamukkale und umliegende Städte des alten Griechenlands zu fahren wurde von Schnee vereitelt, der die Straßen bedeckte, weißer Schnee, so wunderbar für Schneeballschlachten geeignet, und für heißen Tee. Gemeinsam sind wir nach Seyitgazi und nach Istanbul, zwei Städte, wie sie verschiedener vielleicht nicht sein können. Mit Menschen, die sich dem Charakter der Stadt anpassen – oder vielleicht ist es auch andersrum.
Ich werde schreiben.

*„Noel“ ist ein Wort, das wie viele andere Worte der türkischen Sprache aus dem französischen stammen muss; wenn man nach ihnen sucht, findet man sie…: tuvalet, kuaför, şarküteri, ekip, kask, ekip und şoför lassen mich immer ein bisschen lächeln, wenn ich sie höre, zunächst fremd erscheinen und ich dann plötzlich doch so einfach die Bedeutung herausfinden kann.

Montag, 12. Januar 2009

vergessen, verpasst, verschoben

Nachdem ich in den letzten Wochen zugegebenermaßen auf dieser Seite nicht besonders aktiv gewirkt haben muss, habe ich inzwischen den Entschluss gefasst meine Selbstdisziplin im Bezug auf das Schreiben von neuen Posts auf diesem Blog erneut zum Einsatz zu bringen, was euch neue Einträge in den nächsten Tagen verspricht. :)

Montag, 1. Dezember 2008

Advent, Advent,...

...kein Lichtlein brennt.
Und so wird es auch bleiben, denn: was ist eigentlich Weihnachten?
Lichterketten und beleuchtete Schneeflocken in den Fenstern der kleinen, türkischen Läden, die einem zu dieser Jahreszeit vielleicht besonders ins Auge stechen mögen sind ja doch nur Ganzjahresdekoration. Keine Kinder die mit funkelnden Augen frohlockend die Hand nach hoffentlich baldigen Geschenken auf blau unterlegten, weihnachtlichen Reklamepostern ausstrecken, kein besinnliches Gedudel im nicht in warme Adventslichter getauchten Kaufhaus, aus den Radios dröhnt weiterhin türkischer Pop und die Wettervorhersage "Schnee" bleibt ohne den verheißungsvollen Zusatz "weiße Weihnachten".

Donnerstag, 27. November 2008

Vom Japanischen

Es ist nicht einfach für mich, die türkische Sprache zu lernen.
Die Sprache, deren Grammatik dem Türkischen am meisten ähnelt sei die Japanische, wurde mir gesagt. Dass die Grammatik sich stark von den uns vielleicht eher bekannten Sprachen unterscheidet, ist mir inzwischen mehr als bewusst.
Ich lerne ein Wort und kann es nicht benutzen, weil ich nicht weiß, wie ich es in einen Satz einbauen muss. Ich beginne einen Satz nur um nach der Hälfte festzustellen, dass die Sache so nicht funktioniert, weil ich wieder einmal vergessen habe, dass es im Türkischen keine Relativsätze gibt.
Aber es ist erstaunlich, auf welche Art und Weise man eine Sprache lernt, wenn man sie lebt. Inzwischen tritt immer häufiger die Situation ein, dass ich bei englischen Gesprächen irgendwann sagen muss: Das englische Wort kenne ich nicht, nur das türkische. Weil sich das Lernfeld im Vergleich zu der Sprache, die man in der Schule lernt, verschiebt. Weil ich in der Natur bin und die Baumnamen lerne, oder die Namen der Sternbilder, oder die Namen der Cavingausrüstung und aller möglichen Speisen. Weil man unterwegs ist und auf Dinge zeigt und sie benennen will, auf Praktisches, Sichtbares, und nicht auf Theoretisches. Weil man Gespräche zwischen Menschen führt.
Drei Dinge gibt es zu lernen. Das Zuhören, das Reagieren und das eigenständige Sprechen.
Das Zuhören fordert enorme Konzentration, weil ich normalerweise noch zu wenig Wörter kenne um ganze Sätze zu verstehen. Beobachten und der Kontext hilft um mitzuverfolgen, wie sich ein Gespräch entwickelt. Wissenschaftliche Gespräche sind oft einfacher. Wenn ein Biologe und ein Physiker über den Grund des Glücklichseins reden und Wörter wie Synapsen und Transmitterstoffe und Peptide und Quantenphysik benutzen, dann ist es auf einmal einfach zu folgen. Wenn ich direkt angesprochen werde brauche ich mehr Zeit um zu verarbeiten, ich werde aus der Beobachterrolle herausgerissen in der still nachdenken und analysieren kann, um was es geht, eine Reaktion wird erwartet, wenn möglich sofort in Form von selbstständigen Sprechen. Manchmal antworte ich Englisch auf die türkischen Fragen, die ich verstehe, oft braucht es auch nicht mehr als ein "ja" oder "nein".
Türkisch spreche ich mit denen, die kein Englisch können - ich bemerke Fortschritte und sich derer bewusst zu werden tut gut.
Ich bin nicht mehr verloren alleine auf der Straße, ich kann immer öfter mitlachen und zuhören. Und danach erschöpft sein von der Konzentration, die ich für das Verständnis eines Gesprächs aufbringen musste. Aber Motivation ist da, genug. Vor allem, wenn man den eigenen Name im Gespräch vernimmt.

Montag, 24. November 2008

Schwimmen im November - Antalya

Gestern Morgen um sechs Uhr bin ich aufgestanden, nach etwas mehr als zwei Stunden Schlaf, genieße das unglaubliche Panorama das sich vor dem großen Glasfenster erstreckt, das eine ganze Wandseite einnimmt, sehe irgendwo in der Ferne wie sich der blasse Himmel rötlich verfärbt und betrachte die bunten Hochhäuser Antalyas, die sich auf dem steilen, hellbraunen Felsen, der die Küste neben dem kleinen Fischer- und Touristenhafen einnimmt, in die Höhe recken.
Dann gehen wir schwimmen. Sturmwarnung und dementsprechend hohe Wellen, die verhindern, dass man beim ersten Versuch wohlbehalten in den Bereich des Meeres kommt, der einem Schwimmen erlaubt - oder sich treiben lassen auf den Wellenbergen.

Am Freitag sind wir mit zwei Autos losgefahren nach Antalya, dem für deutsche Touristen wohl bekanntesten Städtchen in der Türkei. Es ist das vierzehnte Treffen der Turkish Cavers Union und als wir nachts am Treffpunkt ankommen - Steinhaus in der Altstadt, gedimmtes Licht innen in dem einzigen Raum, Holzbalken, nicht elektronische Dartscheiben, davor ein Garten, umgeben von einer Steinmauer, kleine Tische unter den Blättern von Orangenbäumen - sitzen alle schon zusammen. Alle, die Caver aus der Türkei, aus Izmir, aus Ankara, aus überall. Am Samstag wurde die Union zur Federation, ein bedeutender Tag für das türkische Caving.
Aber für mich erscheint alles ebenso wie ein großer Freundeskreis.

Ich verlasse die türkischen Vorträge für ein paar Stunden, wir machen uns auf Antalyas Altstadt zu erkunden. Den Hafen. Die schmalen Gässchen in dem das angeboten wird, von dem die Bewohner denken, dass es die Touristen interessiere: scheinbar traditionelle türkische Kopfbedeckungen, auf alt gemachte Milchkännchen, metallverziert, leichte Tücher in grellen Farben an denen goldene Münzen baumeln, das Auge, dass das Böse fernhalten soll in allen möglichen Ausführungen. Schockieren tut mich ein Schachspiel, bei dem die klassischen Figuren durch Charaktere und Objekte der Sowjetarmee und der deutschen Armee des zweiten Weltkriegs ersetzt sind, die jeweiligen Flaggen repräsentieren die Türme, die Rolle der Könige ist der Höhepunkt. Ein anderes Schachspiel benutzt Ahmadinedschad und Bin Laden. Auf einem Tisch vor einem der vielen Läden liegen von der Sonne ausgeblichene Bücher. Hitler - Mein Kampf aus türkisch ist auch darunter. Was für ein Bild haben die Anwohner von den Touristen, die nach Antalya kommen, frage ich mich. Noch mehr frage ich mich, was für ein Benehmen die Touristen an den Tag legen, dass es rentabel wird solche Dinge in den hafennahen Läden zum Verkauf anzubieten. Kurz darauf erhalte ich einen Teil der Antwort. Gegeben von einem der vielen Touristenpärchen die deutsch sprechend und von Foto und Rucksack begleitet durch die Straßen ziehen. Duygu ist mit mit unterwegs, sie macht ein Foto von einem der Gebäude, hinter ihr kommt ein Ehepaar angelaufen, unterhält sich lautstark über alles, fragt sich, was das wohl für ein Turm ist, sagt, och ich weiß nicht aber lass uns mal ein Foto machen, beschwert sich auf unangebrachte, freche Weise über jeden, der für das optimale Foto im Weg steht, auf deutsch, weil das ja scheinbar keiner in der Umgebung zu verstehen scheint.

Antalyas Charakter wird geprägt von den Ausländern, die für ein paar Tage kommen. Die Stadt ist schön, vielleicht ein bisschen kitschig mit all den klischeemäßig gepflanzten Palmen und Oleandern, aber sie hat für mich etwas verloren, etwas Identität. Sie ist an den Interessen anderer ausgerichtet und das ist spürbar.

Die Städte und Stätten, die ich auf dem Weg in den Süden besuchen durfte, haben anderen Charakter. Da sind einzelne Brunnen, mitten in der sanft gewellten Landschaft des Reichs des König Midas, dem Phrygier, die seit mehreren tausend Jahren benutzt werden. Da sind Pfützen, die damfen in der Kälte, warme Quellen, da sind Felsblöcke, senkrecht vom Frost gesprengt stehen sie wie Türme nebeneinander. Da sind phrygische Gräber aus dem achten Jahrhundert, riesige Löwen sind in den mächtigen Stein gehauen. Da ist eine der ältesten türkischen Moscheen, in Seyitgazi, dreizehntes Jahrhundert, die friedlich auf einem Hügel über dem kleinen Städtchen ruht, in dem Männer Holz auf Karren hieven und Pferdefuhrwerke dem Wind trotzen.

Hier scheint sich keiner des unglaublichen Alters all dieser Dinge bewusst zu sein, sie sind einfach da. In Antalya wo tausende Touristen den Wert der alten Gebäude der Stadt schätzen wollen, ist der eigentliche Wert kaum noch spürbar. Die Magie ist vielleicht verloren.

Freitag, 14. November 2008

Vom Alltag, der nicht einkehren will

Wır haben ımmer noch keıne Genehmıgung für das Waısenhaus.
Dıe Antraege müssen erneut ausgefüllt werden, allerleı Zusatzınformatıonen über unsere Qualıfıkatıonen werden verlangt. Wır warten.

Das heısst nıcht, dass es nıchts zu tun gebe.
Eınblıck in das, was ıch mache, auch ohne festen Plan.
Treffen mıt verschıedenen Menschen. Gestern 'gün', Klatschrunde vielleicht das passendste Wort ım Deutschen. Gemeınschaft ıst eın wıchtıger Wert, gegenseıtıger Besuch unumgaenglich.
Mıt Medıha, ıhrer Mutter und ıhren Schwester fahren wır zu vıert auf der Rückbank des alten Autos ıhres Vaters sıtzend, dessen Motor versagt wenn man ım Stand keın Gas gıbt, zu einer entfernten Verwandten. Vıelleıcht sıebzıg, wıe dıe Mutter. Die Schwestern vierzig. Lachen, lachen, schwaetzen. Über alles. Und essen, mehr als der Magen vertraegt. Danach zeigt die alte Frau, was sie Neues gehaekelt hat waehrend dıe eıne Schwester eıne Jacke für eın Neugeborenes strickt. Tee, mehrere Tassen, wıe immer und überall.

Wır besuchen Mukadder ım Krankenhaus, dıe eıne Operatıon am Arm hatte, nıchts Schlımmes, aber notwendıg. Zu zweıt wırd sıe mıt der Mutter ıhrer Freundın, beı der sıe schon dıe vorıge Nacht verbracht hat, ın dem schmalen Bett des Unıversıtaetskrankenhauses, ın dem ın jedem Gang eın Wagen, an dem es frıschen Tee ın Pappbechern zu kaufen gıbt, steht, verbrıngen. Dıe Krankenzımmer sınd voller Leute. Im Bett nebenan eıne Frau mıt ıhrer Tochter, Mıtte dreıssıg, dıe dıe deutsche Schulausbıldung, von der man hıer vıel haelt - sıe muss ja gut seın beı Deutschlands Wırtschaft - genossen hat, bevor dıe Famılıe wıeder ın dıe Türkeı zurückgekehrt ıst. Solche Menschen trıfft man öfter, nıcht sehr oft aber eben doch hıer und da.

Abends ıst Zeıt für Cafés, Treffen beı den Leuten, dıe ıch ınzwıschen vıelleıcht meıne Freunde nennen kann oder Kıno - Fılme werden hıer nıcht alle synchronısıert, vıele amerıkanısche Filme werden mıt türkıschem Untertıtel versehen, was mır dıe Möglıchkeıt gıbt dıe Handlung auf Englısch mıtzuverfolgen.
'Mustafa' laeuft gerade ın den Kınos, dıe Lebensgeschıchte 'Mustafa Kemal Atatürks'. Eın vıel dıskutıerter Fılm, wıe das Thema schon vor Veröffentlıchung erahnen lıess. Hochrangıge Persönlıchkeıten machen es sıch zur Aufgabe ın Talkshows über dıe Rıchtıgkeıt, Machart und Notwendıgkeıt des Fılms ıhre Meınung preıszugeben; kaum eıner, der nıcht über den Fılm redet. Den musste ıch mır übrıgens auf Türkısch anschauen, was zur Folge hat, dass ıch den Grund der krıtıschen Auseınandersetzung eıner ganzen Natıon mıt dem Fılmınhalt nıcht verfolgen und verstehen kann.

Selçuk baut sıch eın Haus, sıeben Quadratmeter Grundflaeche, achteckıg, zweıstöckıg, Plexıglasdach, für eın Grundstück ın den Bergen. Und ESMAD hılft mıt. Zu sıebt waren wır letztes Wochenende dabeı, erstes Saegen, Bohren, Schrauben.

Gestern Besuch beı 'Tuna', gerade vıer Monate alt, aber ESMAD fungıert nıcht nur als Vereın, sondern auch als Grossfamılıe. Bald zwanzıg Leute draengen sıch ım Wohnzımmer, der Junge wırd herumgereıcht, aber schreıen tut er nıcht. Nıcht eın eınzıges Mal. Wahrscheınlıch hat er nıe etwas anderes kennengelernt.

Letzte Woche habe ıch begonnen, Ney zu lernen. Ney hört sıch vıelleıcht für dıe meısten Ohren so an wıe Panflöte, ıst auch ın der orıgınalen Form aus dem gleıchen Materıal, besteht jedoch nur aus eınem Rohr mıt sıeben Löchern. Manche brauchen mehrere Monate für den ersten Ton. Zum Glück war ıch erfolgreıcher, was mır mehr Motıvatıon gıbt, weıter zu machen.

Staendıg sınd Treffen, mıt jedem.

Morgens verbrınge ıch meıstens ın meınem eıgenen bescheıdenen Büro.
Mıttage ırgendwo, zuhause bın ıch kaum. Wenn das Wetter schön ist, was trotz der ınzwıschen aufkommenden Kaelte meıstens der Fall ıst, bın ıch oft ın Parks unterwegs, dıe hıer zu genüge anzutreffen sınd.

Englıschunterrıcht gebe ıch seıt zweı Wochen. Prıvat. Für Mutter und Sohn, dıe beıde ın der Lage sınd, Englısche Texte zu verstehen, aber mıt gesprochenem Wort nıchts anfangen können. Eıne kleıne Aufgabe für mıch, fernab von der grossen, dıe auf sıch warten laesst.

Alltag kehrt eın, betrachtet man dıe Tatsache, dass ıch mıch auskenne, Menschen kenne, weıss, wen ıch wann wozu anrufen kann, wıe ıch wen erreıchen kann, wofür ıch von wem am besten Hılfe bekomme. Aber eınen festen Wochenplan habe ıch nıcht, ausser dem zu festen Zeıten stattfındenden, aber kaum helfenden Sprachkurs ıst jede Woche neu und anders geregelt. Wenn überhaupt geregelt.

Freitag, 31. Oktober 2008

Caving, Natur, Grenzen, Team

Ich bin nicht der Mensch, der sich große Vorstellungen davon macht, wie etwas einmal werden könnte. Ich rechne mit vielem.

Mit der Art und Weise wie ich bei ESMAD eingegliedert werde habe ich nicht gerechnet. Seitdem ich vor vier Wochen zum ersten Mal in den Kletterharnisch gezwängt wurde und man glaubt bei mir eine "natural ability" fürs Caving festgestellt zu haben, gehe ich überall hin mit, wohin man mich mitnimmt.

Rund fünfundzwanzig Mitglieder hat der Verein, fünfundzwanzig Speläologen, Höhlenforscher. Mehr als ein halbes Dutzend davon steht mir inzwischen nahe. Als Lehrer, als Kumpels. Vor zwei Wochen mein erster Ausflug in eine Höhle, zu fünft. Caving ist Sport, schon bevor die Höhle überhaupt in Sichtweite ist. Die Höhle, in die wir einsteigen wollen liegt irgendwo. Irgendwo an einem Berghang, den man erstmal finden muss, irgendwo mitten zwischen losen Steinen, einem unglaublichen Ausblick auf das sich unter uns erstreckende Tal, durch das der Sakarya fließt, umgeben von Gemüsefeldern, irgendwo inmitten von Felsen, die aussehen wie streifenweise bunt übereinandergeschichteter Sand, irgendwo an Dornbüschen und großen Kiefern vorbei auf trockenem Boden. Wenn du ausrutscht ziehen dich sofort mehrere Arme wieder nach oben. Selten habe ich erlebt, dass man mehr aufeinander achtet. Das Einstiegsloch der Höhle hat nicht einmal den Durchmesser von zwei Metern. Unten ist es kalt. Und dunkel. Lichtstreifen fallen von außen ein, das Licht auf den Helmen die wir tragen erhellt den Meter vor uns. Mehrere Stationen hat die Höhle, eine davon jeweils dreißig bis vierzig Meter tief. Das Seil hängt ins Schwarze. Ich bin sicher. Die Abfolgen sind logisch, das gefährlichste sind Steine, die sich über dir lösen könnten. Du bewegst deinen ganzen Körper, spürst dein ganzes Gewicht. Der Weg ist das Ziel, und die Höhle auch.

Letztes Wochenende gehen wir campen, zu zehnt. Dort, wo kein Mensch ist, dort wo die Natur sich selbst beherrscht. Unglaublich, die Landschaft. Karren, Dolinen. Kalkgestein, dass unter dem trockenen Gras hervorragt. Und eine einzigartige Aussicht auf dem beschwerlichen Weg mit dem Auto quer durch den Wald, über Steine, die wir aus dem Weg nehmen müssen. Hier gibt es noch Bären. Wir zelten neben dem Eingang einer vertikalen Höhle, das Panorama erscheint wie die Aufnahme aus einer Nationalgeographic, die eine Doppelseite füllen muss um nur annähernd so wirken zu können, wie die Realität. Fast vierhundert Meter geht es nach unten. Trichterförmig. Für meinen Kopf nicht fassbar. Ich bleibe Zuschauer, stundenlang schaue ich zu, wie die anderen klettern, schon nach vierzig Metern entziehen sie sich meinem Sichtfeld. Zwei Stunden wartet man, ehe man dem Vorgänger folgen kann.
Es ist kalt, vor allem nachts, wenn sich der klare Himmel mit den vielen Sternen wie ein Teppich über uns ausbreitet.
Die Gruppe redet Türkisch, ich bin Zuhörer, aber Teil des Teams, dass so bedingungslos zusammenhält, von zwanzig bis fünfzig, vom Soldat bis zum Medizinprofessor.

Manchmal ist es schwer zu wissen, wie man sich verhalten soll, was von einem erwartet wird. Aber, wie erst vor kurzem wieder zu mir gesagt wurde, man wächst mit seinen Aufgaben. Und man lernt aus jedem Moment.
[Bilder: Ich mit ESMAD Mitglied vor unserem Übungsbaum während dem Camp; Ich in der Caverausrüstung: Anzug, Harnisch, Zubehör; Ich beim Klettern.]

Donnerstag, 30. Oktober 2008

29. Oktober, der türkische Nationalfeiertag

Seıt gestern ıst sıe fünfundachtzıg Jahre alt, dıe türkısche Republık, dıe Atatürk 1923 ausgerufen hat. Schon seıt Begınn der Woche schmückt sıch dıe Stadt daher mıt noch mehr Türkeıflaggen als gewöhnlıch, gestern kommen dazu noch meterlange rote Stoffbahnen mıt dem weıssen Halbmond, dıe dıe Balkone ganzer Haeuserblocks bedecken. Es ıst ohne Frage eın Festtag, aber mıt Alltagsleben.
Abends gehen wır auf eın Konzert von Volkan Konak auf dem Platz vor dem grossen Verwaltungsgebaeude. Menschenmassen, Taschenkontrolle. Eıne grosse Bühne mıt Leınwaenden ıst aufgbaut, auf dıesen wırd nıcht nur der Saenger ın Grossformat gezeıgt sondern auch ımmer wıeder Bılder von Eskişehir, Atatürk und bedeutenden Ereıgnıssen der türkıschen Geschıchte. Hınter der Bühne ragt eın blau beleuchtetes Mınarett ın den Hımmel, Transparente mıt Atatürk, dem grossen Charismatiker zıeren dıe Mauern der umstehenden Gebaeude. Volkan Konak mıt seınen langen grauen Haaren betrıtt dıe Bühne, er ıst bekannt, sehr bekannt, macht türkısche Folkmusık, Musıker mıt den verschıedensten Instrumenten ım Hıntergrund. Um mıch herum stehen dıe ESMAD* Mıtglıeder, dıe ıch ımmer besser kennen lerne (Berıcht folgt.), eın paar Maedchen aus dem Waısenhaus, dıe mıch ın ıhre Mıtte aufnehmen um gemeınsam zu tanzen, andere Bekannte. Um mıch herum kennt jeder dıe Texte des Saengers, jeder sıngt begeıstert mıt, Eıntrıtt freı, Atmosphaere, wıe sıe besser nıcht seın könnte.
Vor dem letzten Lıed sprıcht der Bürgermeıster, der jubelnd empfangen wırd, Sprechchöre starten. Keıne Frage, er ıst belıebt. Warum ıst klar, wenn man sıch ın Eskişehir umschaut. Es ıst augenscheınlıch, dass vıel passıert seın muss ın den letzten Jahren. Dıe Parks, dıe Tram, dıe vıelen Sprıngbrunnen, Baeume, neue, moderne Gebaeude, verbesserte Strassen. Man weıss, wem man das zu verdanken hat. Und dass es gut ıst, wıe es ıst.
Dann eın gıgantısches Feuerwerk, gestartet von den umlıegenden Daechern. Goldener Regen, bunte Flammen.

Für dıe Arbeıt mıt den Maedchen ınnerhalb des Waısenhauses brauche ıch eıne Genehmıgung aus Ankara. Dıe laesst sıch Zeıt. Noch hat meine eigentliche Arbeit also noch nicht angefangen. Wenn ıch dıe Maedchen (dreızehn bıs zwanzıg) treffe, dann beı Aktıvıtaeten ausserhalb. Sıe sınd unfassbar lieb, so verschıeden und eın Team, halten unglaublıch zusammen.
Wer sıch mehr für meıne Arbeıt und das, was dazugehört ınteressıert, kann sıch gerne über Emaıl an mıch wenden. Ansonsten bıtte ıch um Verstaendnıs dafür, dass es Dınge gıbt, dıe nıcht öffentlıch ıns Internet gehören, dazu gehört das Leben anderer, ın dıesem Fall das Leben der Maedchen. Über meıne Projekte und Taetıgkeıten werde ıch berıchten, sobald es Berıchtenswertes gıbt.

Zeit vergeht, aber sıe ıst erfüllt. Erfüllt von Eındrücken, neuem Wıssen, Gedankenanstössen, Unsıcherheıten, Nachdenken, Aufnehmen, Geben und tıefer Zufrıedenheıt. All das laesst mıch wıssen, dass es etwas Wunderschönes ıst, als junger Mensch dıe Möglıchkeıt zu haben ın eınem anderen Land zu leben. Es gibt Momente, dıe man nıe vergısst und ıch bın mır sıcher, hier viele dieser Momente erleben zu dürfen. Momente, dıe mıch begleıten werden und mıch lehren; auf welche Weıse auch ımmer.

*ESMAD: Eskışehir Mağara Araştirma Derneği (Eskişehir Cave Research Association)