Über Neujahr war sie da und ich habe sie gebeten davon zu schreiben:
Zwölf Tage Türkei liegen vor mir, von denen ich keinerlei Vorstellung habe, nicht weiß, was ich erwarten soll von dem Land, von dem jeder so vollkommen verschiedene Ansichten hat. Ich sollte mir selbst ein Bild machen.
Die erste Nacht verbringen wir, anders als geplant, in einer völlig verlassenen Wartehalle einer türkischen Busreisefirma am Istanbuler Busbahnhof. Wir warten auf den 6-Uhr Bus. Es ist eins.
Wir versuchen zu schlafen, als Decke nehmen wir unsere Jacken, die bei Minustemperaturen im zweistelligen Bereich nur dürftig ihren Zweck erfüllen. Ich habe Durst. Die beiden Männer, die schweigend ihre Nachtschicht absitzen geben mir Wasser, das ich aus einer Art Joghurtbecher trinke.
Ich kann endlich einschlafen. Als ich aufwache bringt meine Schwester mein erstes türkisches Frühstück. Simit, eine Art Gebäckring und Pfirsichsaft.
Endlich fährt der Bus ab. Ich schaue aus dem Fenster. Überall sehe ich gelbe Lichter, beleuchtete Moscheen und endlich, den Bosporus.
Wir fahren weiter. Während der 6-stündigen Fahrt halten wir zweimal an. Wir essen unser zweites Frühstück an diesem Tag. Es ist der letzte in diesem Jahr.
Wir fahren durch die Berge und kommen endlich in Eskisehir an. Es ist anders. Überall sind Menschen. Wenn man kurz stehen bleibt und inne hält, kommt es einem vor, als befinde man sich in einem riesigen Gewusel. Es ist nicht voll, nur belebt.
Wir nehmen den Bus zur Wohnung.
Später holt uns Selcuk ab. Wir sitzen zu sechst im Auto. Es wird geredet, Türkisch, Englisch, Deutsch.
„Selcuk, ich darf doch eigentlich gar nicht mit ins Waisenhaus.“ Er lacht und antwortet: „Du bist Ebru und redest nicht gerne.“ So funktioniert das.
Die Mädels warten schon. Sie umarmen mich, obwohl sie keine Ahnung haben, wer ich bin. Die Freude über den Besuch steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Sie reden mit mir.
Ich sage nur „Ich kann kein Türkisch“. Sie reden weiter. Fragen mich Dinge, die ich nicht verstehe.
Meine Schwester erklaert: „Sie ist meine Schwester und kann kein Türkisch“. „Ah echt? Deine Schwester?“ und wieder versuchen sie, mit mir zu sprechen. Ich lache.
Allmählich kommt auch der Rest von ESMAD, verbringen selbstverstaendlich einen Teil ihres Silvesterabends mit den Maedchen.
Die Mädchen vertrauen ihnen, man sieht das.
Der Abschied von den Mädchen dauert lange, Küsschen links, Küsschen rechts, Umarmung und ein paar Worte. Und noch ein paar. Sie wollen nicht, dass wir gehen.
Danach fahren wir mit ESMAD in eine Bar und verbringen einen unvergesslichen Silvesterabend (Noel). Gegen 3 Uhr werde ich nach Hause gebracht, die anderen verbringen die Nacht in der Hütte in den Bergen, aber ich bin einfach zu müde.
Ich werde begleitet, zur Tür. „Ich bring dich noch hoch.“, sagt Süleyman, und ich erwidere, dass es nicht nötig sei. „Bist du sicher, dass du die Wohnung findest?“ Ja, sage ich und bedanke mich. „Und falls du etwas brauchst, hast du ein Handy?“ Ja, sage ich erneut und wünsche eine gute Nacht. Ich bin schon fast oben, da ruft Süleyman: „Und die Nummer hast du auch?“ Ich muss lachen. Ja, ich hab die Nummer.
Ein neues Jahr.
Die nächsten Tage verbringen wir bei Freunden oder Bekannten, in der Uni oder in der Stadt. Ich lerne den türkischen Alltag kennen. Abends essen wir meistens bei ESMAD-Leuten.
„Das macht man hier so, man lädt die Leute immer ein, wenn man gerade kocht“, wird mir erklärt.
Wir betreten Ferits Wohnzimmer. Als wir reinkommen, ist kaum noch Platz. Aber man findet doch überall einen Platz. „Passt nicht mehr“ gibt es hier nicht. Das sieht man nicht nur an den Menschenmengen in der Straßenbahn. Wir essen auf dem Boden. Reden, lachen und essen. Und trinken. Raki.
Meistens weiß ich nicht, was ich gerade esse. Aber es schmeckt. Immer.
In der Mitte des Zimmers liegt ein großes Leintuch auf dem wir essen. Als wir fertig sind, wird es zusammengefaltet und über dem Fenster ausgeschüttelt.
Mehr als ein Duzend Leute sitzen im Wohnzimmer und unterhalten sich angeregt über Dinge, die ich nicht verstehe.
Wir schauen einen Film. Ferit stellt ihn auf Englisch. Für mich. Obwohl ich es gar nicht verlange. Ich weiß, dass die anderen nicht alle Englisch können, und trotzdem sagen sie nichts. Untertitel Türkisch.
Die nächsten Tage geht meine Schwester mittags arbeiten. Ich freue mich, dass sie endlich ihre Arbeitsgenehmigung bekommen hat und endlich im Waisenhaus anfangen kann.
Morgens gehen wir auf den Markt, an die Uni, fahren nach Seyitgazi.
Mittags schaue ich mir die Stadt an, gehe bummeln und finde mich so langsam sogar etwas zurecht..
Wir wollen in eine Shishabar. Vorher gehen wir noch in einen Buchladen. Wir treffen zwei Freunde. Sie fragen, was wir vorhaben und beschließen kurzerhand, mitzukommen. Später gehen wir zusammen auf ein Konzert.
Die anderen Abende verbringen wir ebenfalls mit ESMAD bei Schneeballschlachten oder in Teehäusern.
Es hat geschneit. Viel. Zu viel um am Wochenende nach Pamukkale zu fahren. Der Schnee wird nicht geräumt. Er bleibt in den Straßen liegen, bis er nach einigen Tagen zu grauem Matsch und riesigen Pfützen dahinschmilzt, die nicht mehr abfließen.
Die Woche ist fast zu Ende. Die Zeit vergeht so schnell. Es war wie ein kurzer Einblick in ein anderes Leben.
Aber ich freue mich auf die verbleibenden drei Tage. Drei Tage Istanbul.
Ungeplant und doch intensiv verbringen wir unsere Zeit in Istanbul – ich nenne es türkisch.
Wir kommen an und nehmen die Straßenbahn zur blauen Moschee. Eine Unterkunft haben wir noch nicht. Wir verschaffen uns einen Überblick und kaufen Tickets für ein Schiff. Wir wissen nicht, wohin das Schiff fährt, bleiben einfach sitzen, in der Hoffnung, dass es wieder an die selbe Station zurückfährt. Wir haben Glück.
Während der Fahrt genießen wir den Sonnenuntergang und füttern die Möwen, die unserem Schiff folgen. Ein Mann füttert sie mit Brot. Unsere Kekse mögen sie auch.
Wir laufen noch ein wenig durch die Stadt und entdecken den „Großen Markt“, den größten Mark der Türkei. Die Leute sprechen uns an, laufen uns hinterher. „Hallo, sind sie aus Deutschland? Süden? Norden?“ An jedem Stand das gleiche Spiel. Sobald meine Schwester auf Türkisch antwortet, sind sie ruhig. Oder es weckt ihr Interesse noch mehr. „Woher kannst du Türkisch? Bist du Studentin?“
Am nächsten Tag beginnen wir unsere Sightseeing-Tour. Die blaue Moschee, die wir nur barfuss und mit Kopftuch betreten dürfen, die Hagia Sofia, für die wir eine Führung eines pensionierten Architekten buchen, der, wenn man seinen Erzählungen glauben schenken darf, die Turnhalle in Fellbach und viele andere Sachen in Deutschland entworfen hat.
Ich essen gerösteten Mais von einem Straßenstand und genieße die Sonne, die mich zusätzlich beglückt.
Wir machen eine Stadtrundfahrt und besichtigen den versunkenen Palast. Später am Abend gehen wir noch zum Topkapi Palast. Meine Schwester trifft dort zufaellig auf Bekannte.
Wir besuchen den Gewürzmarkt und beenden den Abend mit einem Eis bei McDonald. So klingt mein letzter Abend in der Türkei also aus. Quasi eine Mischung aus orientalischer und westlicher Welt. Ich habe mir selbst ein Bild gemacht. Dieses.
Spontan
vor 13 Jahren
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