Montag, 1. Dezember 2008

Advent, Advent,...

...kein Lichtlein brennt.
Und so wird es auch bleiben, denn: was ist eigentlich Weihnachten?
Lichterketten und beleuchtete Schneeflocken in den Fenstern der kleinen, türkischen Läden, die einem zu dieser Jahreszeit vielleicht besonders ins Auge stechen mögen sind ja doch nur Ganzjahresdekoration. Keine Kinder die mit funkelnden Augen frohlockend die Hand nach hoffentlich baldigen Geschenken auf blau unterlegten, weihnachtlichen Reklamepostern ausstrecken, kein besinnliches Gedudel im nicht in warme Adventslichter getauchten Kaufhaus, aus den Radios dröhnt weiterhin türkischer Pop und die Wettervorhersage "Schnee" bleibt ohne den verheißungsvollen Zusatz "weiße Weihnachten".

Donnerstag, 27. November 2008

Vom Japanischen

Es ist nicht einfach für mich, die türkische Sprache zu lernen.
Die Sprache, deren Grammatik dem Türkischen am meisten ähnelt sei die Japanische, wurde mir gesagt. Dass die Grammatik sich stark von den uns vielleicht eher bekannten Sprachen unterscheidet, ist mir inzwischen mehr als bewusst.
Ich lerne ein Wort und kann es nicht benutzen, weil ich nicht weiß, wie ich es in einen Satz einbauen muss. Ich beginne einen Satz nur um nach der Hälfte festzustellen, dass die Sache so nicht funktioniert, weil ich wieder einmal vergessen habe, dass es im Türkischen keine Relativsätze gibt.
Aber es ist erstaunlich, auf welche Art und Weise man eine Sprache lernt, wenn man sie lebt. Inzwischen tritt immer häufiger die Situation ein, dass ich bei englischen Gesprächen irgendwann sagen muss: Das englische Wort kenne ich nicht, nur das türkische. Weil sich das Lernfeld im Vergleich zu der Sprache, die man in der Schule lernt, verschiebt. Weil ich in der Natur bin und die Baumnamen lerne, oder die Namen der Sternbilder, oder die Namen der Cavingausrüstung und aller möglichen Speisen. Weil man unterwegs ist und auf Dinge zeigt und sie benennen will, auf Praktisches, Sichtbares, und nicht auf Theoretisches. Weil man Gespräche zwischen Menschen führt.
Drei Dinge gibt es zu lernen. Das Zuhören, das Reagieren und das eigenständige Sprechen.
Das Zuhören fordert enorme Konzentration, weil ich normalerweise noch zu wenig Wörter kenne um ganze Sätze zu verstehen. Beobachten und der Kontext hilft um mitzuverfolgen, wie sich ein Gespräch entwickelt. Wissenschaftliche Gespräche sind oft einfacher. Wenn ein Biologe und ein Physiker über den Grund des Glücklichseins reden und Wörter wie Synapsen und Transmitterstoffe und Peptide und Quantenphysik benutzen, dann ist es auf einmal einfach zu folgen. Wenn ich direkt angesprochen werde brauche ich mehr Zeit um zu verarbeiten, ich werde aus der Beobachterrolle herausgerissen in der still nachdenken und analysieren kann, um was es geht, eine Reaktion wird erwartet, wenn möglich sofort in Form von selbstständigen Sprechen. Manchmal antworte ich Englisch auf die türkischen Fragen, die ich verstehe, oft braucht es auch nicht mehr als ein "ja" oder "nein".
Türkisch spreche ich mit denen, die kein Englisch können - ich bemerke Fortschritte und sich derer bewusst zu werden tut gut.
Ich bin nicht mehr verloren alleine auf der Straße, ich kann immer öfter mitlachen und zuhören. Und danach erschöpft sein von der Konzentration, die ich für das Verständnis eines Gesprächs aufbringen musste. Aber Motivation ist da, genug. Vor allem, wenn man den eigenen Name im Gespräch vernimmt.

Montag, 24. November 2008

Schwimmen im November - Antalya

Gestern Morgen um sechs Uhr bin ich aufgestanden, nach etwas mehr als zwei Stunden Schlaf, genieße das unglaubliche Panorama das sich vor dem großen Glasfenster erstreckt, das eine ganze Wandseite einnimmt, sehe irgendwo in der Ferne wie sich der blasse Himmel rötlich verfärbt und betrachte die bunten Hochhäuser Antalyas, die sich auf dem steilen, hellbraunen Felsen, der die Küste neben dem kleinen Fischer- und Touristenhafen einnimmt, in die Höhe recken.
Dann gehen wir schwimmen. Sturmwarnung und dementsprechend hohe Wellen, die verhindern, dass man beim ersten Versuch wohlbehalten in den Bereich des Meeres kommt, der einem Schwimmen erlaubt - oder sich treiben lassen auf den Wellenbergen.

Am Freitag sind wir mit zwei Autos losgefahren nach Antalya, dem für deutsche Touristen wohl bekanntesten Städtchen in der Türkei. Es ist das vierzehnte Treffen der Turkish Cavers Union und als wir nachts am Treffpunkt ankommen - Steinhaus in der Altstadt, gedimmtes Licht innen in dem einzigen Raum, Holzbalken, nicht elektronische Dartscheiben, davor ein Garten, umgeben von einer Steinmauer, kleine Tische unter den Blättern von Orangenbäumen - sitzen alle schon zusammen. Alle, die Caver aus der Türkei, aus Izmir, aus Ankara, aus überall. Am Samstag wurde die Union zur Federation, ein bedeutender Tag für das türkische Caving.
Aber für mich erscheint alles ebenso wie ein großer Freundeskreis.

Ich verlasse die türkischen Vorträge für ein paar Stunden, wir machen uns auf Antalyas Altstadt zu erkunden. Den Hafen. Die schmalen Gässchen in dem das angeboten wird, von dem die Bewohner denken, dass es die Touristen interessiere: scheinbar traditionelle türkische Kopfbedeckungen, auf alt gemachte Milchkännchen, metallverziert, leichte Tücher in grellen Farben an denen goldene Münzen baumeln, das Auge, dass das Böse fernhalten soll in allen möglichen Ausführungen. Schockieren tut mich ein Schachspiel, bei dem die klassischen Figuren durch Charaktere und Objekte der Sowjetarmee und der deutschen Armee des zweiten Weltkriegs ersetzt sind, die jeweiligen Flaggen repräsentieren die Türme, die Rolle der Könige ist der Höhepunkt. Ein anderes Schachspiel benutzt Ahmadinedschad und Bin Laden. Auf einem Tisch vor einem der vielen Läden liegen von der Sonne ausgeblichene Bücher. Hitler - Mein Kampf aus türkisch ist auch darunter. Was für ein Bild haben die Anwohner von den Touristen, die nach Antalya kommen, frage ich mich. Noch mehr frage ich mich, was für ein Benehmen die Touristen an den Tag legen, dass es rentabel wird solche Dinge in den hafennahen Läden zum Verkauf anzubieten. Kurz darauf erhalte ich einen Teil der Antwort. Gegeben von einem der vielen Touristenpärchen die deutsch sprechend und von Foto und Rucksack begleitet durch die Straßen ziehen. Duygu ist mit mit unterwegs, sie macht ein Foto von einem der Gebäude, hinter ihr kommt ein Ehepaar angelaufen, unterhält sich lautstark über alles, fragt sich, was das wohl für ein Turm ist, sagt, och ich weiß nicht aber lass uns mal ein Foto machen, beschwert sich auf unangebrachte, freche Weise über jeden, der für das optimale Foto im Weg steht, auf deutsch, weil das ja scheinbar keiner in der Umgebung zu verstehen scheint.

Antalyas Charakter wird geprägt von den Ausländern, die für ein paar Tage kommen. Die Stadt ist schön, vielleicht ein bisschen kitschig mit all den klischeemäßig gepflanzten Palmen und Oleandern, aber sie hat für mich etwas verloren, etwas Identität. Sie ist an den Interessen anderer ausgerichtet und das ist spürbar.

Die Städte und Stätten, die ich auf dem Weg in den Süden besuchen durfte, haben anderen Charakter. Da sind einzelne Brunnen, mitten in der sanft gewellten Landschaft des Reichs des König Midas, dem Phrygier, die seit mehreren tausend Jahren benutzt werden. Da sind Pfützen, die damfen in der Kälte, warme Quellen, da sind Felsblöcke, senkrecht vom Frost gesprengt stehen sie wie Türme nebeneinander. Da sind phrygische Gräber aus dem achten Jahrhundert, riesige Löwen sind in den mächtigen Stein gehauen. Da ist eine der ältesten türkischen Moscheen, in Seyitgazi, dreizehntes Jahrhundert, die friedlich auf einem Hügel über dem kleinen Städtchen ruht, in dem Männer Holz auf Karren hieven und Pferdefuhrwerke dem Wind trotzen.

Hier scheint sich keiner des unglaublichen Alters all dieser Dinge bewusst zu sein, sie sind einfach da. In Antalya wo tausende Touristen den Wert der alten Gebäude der Stadt schätzen wollen, ist der eigentliche Wert kaum noch spürbar. Die Magie ist vielleicht verloren.

Freitag, 14. November 2008

Vom Alltag, der nicht einkehren will

Wır haben ımmer noch keıne Genehmıgung für das Waısenhaus.
Dıe Antraege müssen erneut ausgefüllt werden, allerleı Zusatzınformatıonen über unsere Qualıfıkatıonen werden verlangt. Wır warten.

Das heısst nıcht, dass es nıchts zu tun gebe.
Eınblıck in das, was ıch mache, auch ohne festen Plan.
Treffen mıt verschıedenen Menschen. Gestern 'gün', Klatschrunde vielleicht das passendste Wort ım Deutschen. Gemeınschaft ıst eın wıchtıger Wert, gegenseıtıger Besuch unumgaenglich.
Mıt Medıha, ıhrer Mutter und ıhren Schwester fahren wır zu vıert auf der Rückbank des alten Autos ıhres Vaters sıtzend, dessen Motor versagt wenn man ım Stand keın Gas gıbt, zu einer entfernten Verwandten. Vıelleıcht sıebzıg, wıe dıe Mutter. Die Schwestern vierzig. Lachen, lachen, schwaetzen. Über alles. Und essen, mehr als der Magen vertraegt. Danach zeigt die alte Frau, was sie Neues gehaekelt hat waehrend dıe eıne Schwester eıne Jacke für eın Neugeborenes strickt. Tee, mehrere Tassen, wıe immer und überall.

Wır besuchen Mukadder ım Krankenhaus, dıe eıne Operatıon am Arm hatte, nıchts Schlımmes, aber notwendıg. Zu zweıt wırd sıe mıt der Mutter ıhrer Freundın, beı der sıe schon dıe vorıge Nacht verbracht hat, ın dem schmalen Bett des Unıversıtaetskrankenhauses, ın dem ın jedem Gang eın Wagen, an dem es frıschen Tee ın Pappbechern zu kaufen gıbt, steht, verbrıngen. Dıe Krankenzımmer sınd voller Leute. Im Bett nebenan eıne Frau mıt ıhrer Tochter, Mıtte dreıssıg, dıe dıe deutsche Schulausbıldung, von der man hıer vıel haelt - sıe muss ja gut seın beı Deutschlands Wırtschaft - genossen hat, bevor dıe Famılıe wıeder ın dıe Türkeı zurückgekehrt ıst. Solche Menschen trıfft man öfter, nıcht sehr oft aber eben doch hıer und da.

Abends ıst Zeıt für Cafés, Treffen beı den Leuten, dıe ıch ınzwıschen vıelleıcht meıne Freunde nennen kann oder Kıno - Fılme werden hıer nıcht alle synchronısıert, vıele amerıkanısche Filme werden mıt türkıschem Untertıtel versehen, was mır dıe Möglıchkeıt gıbt dıe Handlung auf Englısch mıtzuverfolgen.
'Mustafa' laeuft gerade ın den Kınos, dıe Lebensgeschıchte 'Mustafa Kemal Atatürks'. Eın vıel dıskutıerter Fılm, wıe das Thema schon vor Veröffentlıchung erahnen lıess. Hochrangıge Persönlıchkeıten machen es sıch zur Aufgabe ın Talkshows über dıe Rıchtıgkeıt, Machart und Notwendıgkeıt des Fılms ıhre Meınung preıszugeben; kaum eıner, der nıcht über den Fılm redet. Den musste ıch mır übrıgens auf Türkısch anschauen, was zur Folge hat, dass ıch den Grund der krıtıschen Auseınandersetzung eıner ganzen Natıon mıt dem Fılmınhalt nıcht verfolgen und verstehen kann.

Selçuk baut sıch eın Haus, sıeben Quadratmeter Grundflaeche, achteckıg, zweıstöckıg, Plexıglasdach, für eın Grundstück ın den Bergen. Und ESMAD hılft mıt. Zu sıebt waren wır letztes Wochenende dabeı, erstes Saegen, Bohren, Schrauben.

Gestern Besuch beı 'Tuna', gerade vıer Monate alt, aber ESMAD fungıert nıcht nur als Vereın, sondern auch als Grossfamılıe. Bald zwanzıg Leute draengen sıch ım Wohnzımmer, der Junge wırd herumgereıcht, aber schreıen tut er nıcht. Nıcht eın eınzıges Mal. Wahrscheınlıch hat er nıe etwas anderes kennengelernt.

Letzte Woche habe ıch begonnen, Ney zu lernen. Ney hört sıch vıelleıcht für dıe meısten Ohren so an wıe Panflöte, ıst auch ın der orıgınalen Form aus dem gleıchen Materıal, besteht jedoch nur aus eınem Rohr mıt sıeben Löchern. Manche brauchen mehrere Monate für den ersten Ton. Zum Glück war ıch erfolgreıcher, was mır mehr Motıvatıon gıbt, weıter zu machen.

Staendıg sınd Treffen, mıt jedem.

Morgens verbrınge ıch meıstens ın meınem eıgenen bescheıdenen Büro.
Mıttage ırgendwo, zuhause bın ıch kaum. Wenn das Wetter schön ist, was trotz der ınzwıschen aufkommenden Kaelte meıstens der Fall ıst, bın ıch oft ın Parks unterwegs, dıe hıer zu genüge anzutreffen sınd.

Englıschunterrıcht gebe ıch seıt zweı Wochen. Prıvat. Für Mutter und Sohn, dıe beıde ın der Lage sınd, Englısche Texte zu verstehen, aber mıt gesprochenem Wort nıchts anfangen können. Eıne kleıne Aufgabe für mıch, fernab von der grossen, dıe auf sıch warten laesst.

Alltag kehrt eın, betrachtet man dıe Tatsache, dass ıch mıch auskenne, Menschen kenne, weıss, wen ıch wann wozu anrufen kann, wıe ıch wen erreıchen kann, wofür ıch von wem am besten Hılfe bekomme. Aber eınen festen Wochenplan habe ıch nıcht, ausser dem zu festen Zeıten stattfındenden, aber kaum helfenden Sprachkurs ıst jede Woche neu und anders geregelt. Wenn überhaupt geregelt.

Freitag, 31. Oktober 2008

Caving, Natur, Grenzen, Team

Ich bin nicht der Mensch, der sich große Vorstellungen davon macht, wie etwas einmal werden könnte. Ich rechne mit vielem.

Mit der Art und Weise wie ich bei ESMAD eingegliedert werde habe ich nicht gerechnet. Seitdem ich vor vier Wochen zum ersten Mal in den Kletterharnisch gezwängt wurde und man glaubt bei mir eine "natural ability" fürs Caving festgestellt zu haben, gehe ich überall hin mit, wohin man mich mitnimmt.

Rund fünfundzwanzig Mitglieder hat der Verein, fünfundzwanzig Speläologen, Höhlenforscher. Mehr als ein halbes Dutzend davon steht mir inzwischen nahe. Als Lehrer, als Kumpels. Vor zwei Wochen mein erster Ausflug in eine Höhle, zu fünft. Caving ist Sport, schon bevor die Höhle überhaupt in Sichtweite ist. Die Höhle, in die wir einsteigen wollen liegt irgendwo. Irgendwo an einem Berghang, den man erstmal finden muss, irgendwo mitten zwischen losen Steinen, einem unglaublichen Ausblick auf das sich unter uns erstreckende Tal, durch das der Sakarya fließt, umgeben von Gemüsefeldern, irgendwo inmitten von Felsen, die aussehen wie streifenweise bunt übereinandergeschichteter Sand, irgendwo an Dornbüschen und großen Kiefern vorbei auf trockenem Boden. Wenn du ausrutscht ziehen dich sofort mehrere Arme wieder nach oben. Selten habe ich erlebt, dass man mehr aufeinander achtet. Das Einstiegsloch der Höhle hat nicht einmal den Durchmesser von zwei Metern. Unten ist es kalt. Und dunkel. Lichtstreifen fallen von außen ein, das Licht auf den Helmen die wir tragen erhellt den Meter vor uns. Mehrere Stationen hat die Höhle, eine davon jeweils dreißig bis vierzig Meter tief. Das Seil hängt ins Schwarze. Ich bin sicher. Die Abfolgen sind logisch, das gefährlichste sind Steine, die sich über dir lösen könnten. Du bewegst deinen ganzen Körper, spürst dein ganzes Gewicht. Der Weg ist das Ziel, und die Höhle auch.

Letztes Wochenende gehen wir campen, zu zehnt. Dort, wo kein Mensch ist, dort wo die Natur sich selbst beherrscht. Unglaublich, die Landschaft. Karren, Dolinen. Kalkgestein, dass unter dem trockenen Gras hervorragt. Und eine einzigartige Aussicht auf dem beschwerlichen Weg mit dem Auto quer durch den Wald, über Steine, die wir aus dem Weg nehmen müssen. Hier gibt es noch Bären. Wir zelten neben dem Eingang einer vertikalen Höhle, das Panorama erscheint wie die Aufnahme aus einer Nationalgeographic, die eine Doppelseite füllen muss um nur annähernd so wirken zu können, wie die Realität. Fast vierhundert Meter geht es nach unten. Trichterförmig. Für meinen Kopf nicht fassbar. Ich bleibe Zuschauer, stundenlang schaue ich zu, wie die anderen klettern, schon nach vierzig Metern entziehen sie sich meinem Sichtfeld. Zwei Stunden wartet man, ehe man dem Vorgänger folgen kann.
Es ist kalt, vor allem nachts, wenn sich der klare Himmel mit den vielen Sternen wie ein Teppich über uns ausbreitet.
Die Gruppe redet Türkisch, ich bin Zuhörer, aber Teil des Teams, dass so bedingungslos zusammenhält, von zwanzig bis fünfzig, vom Soldat bis zum Medizinprofessor.

Manchmal ist es schwer zu wissen, wie man sich verhalten soll, was von einem erwartet wird. Aber, wie erst vor kurzem wieder zu mir gesagt wurde, man wächst mit seinen Aufgaben. Und man lernt aus jedem Moment.
[Bilder: Ich mit ESMAD Mitglied vor unserem Übungsbaum während dem Camp; Ich in der Caverausrüstung: Anzug, Harnisch, Zubehör; Ich beim Klettern.]

Donnerstag, 30. Oktober 2008

29. Oktober, der türkische Nationalfeiertag

Seıt gestern ıst sıe fünfundachtzıg Jahre alt, dıe türkısche Republık, dıe Atatürk 1923 ausgerufen hat. Schon seıt Begınn der Woche schmückt sıch dıe Stadt daher mıt noch mehr Türkeıflaggen als gewöhnlıch, gestern kommen dazu noch meterlange rote Stoffbahnen mıt dem weıssen Halbmond, dıe dıe Balkone ganzer Haeuserblocks bedecken. Es ıst ohne Frage eın Festtag, aber mıt Alltagsleben.
Abends gehen wır auf eın Konzert von Volkan Konak auf dem Platz vor dem grossen Verwaltungsgebaeude. Menschenmassen, Taschenkontrolle. Eıne grosse Bühne mıt Leınwaenden ıst aufgbaut, auf dıesen wırd nıcht nur der Saenger ın Grossformat gezeıgt sondern auch ımmer wıeder Bılder von Eskişehir, Atatürk und bedeutenden Ereıgnıssen der türkıschen Geschıchte. Hınter der Bühne ragt eın blau beleuchtetes Mınarett ın den Hımmel, Transparente mıt Atatürk, dem grossen Charismatiker zıeren dıe Mauern der umstehenden Gebaeude. Volkan Konak mıt seınen langen grauen Haaren betrıtt dıe Bühne, er ıst bekannt, sehr bekannt, macht türkısche Folkmusık, Musıker mıt den verschıedensten Instrumenten ım Hıntergrund. Um mıch herum stehen dıe ESMAD* Mıtglıeder, dıe ıch ımmer besser kennen lerne (Berıcht folgt.), eın paar Maedchen aus dem Waısenhaus, dıe mıch ın ıhre Mıtte aufnehmen um gemeınsam zu tanzen, andere Bekannte. Um mıch herum kennt jeder dıe Texte des Saengers, jeder sıngt begeıstert mıt, Eıntrıtt freı, Atmosphaere, wıe sıe besser nıcht seın könnte.
Vor dem letzten Lıed sprıcht der Bürgermeıster, der jubelnd empfangen wırd, Sprechchöre starten. Keıne Frage, er ıst belıebt. Warum ıst klar, wenn man sıch ın Eskişehir umschaut. Es ıst augenscheınlıch, dass vıel passıert seın muss ın den letzten Jahren. Dıe Parks, dıe Tram, dıe vıelen Sprıngbrunnen, Baeume, neue, moderne Gebaeude, verbesserte Strassen. Man weıss, wem man das zu verdanken hat. Und dass es gut ıst, wıe es ıst.
Dann eın gıgantısches Feuerwerk, gestartet von den umlıegenden Daechern. Goldener Regen, bunte Flammen.

Für dıe Arbeıt mıt den Maedchen ınnerhalb des Waısenhauses brauche ıch eıne Genehmıgung aus Ankara. Dıe laesst sıch Zeıt. Noch hat meine eigentliche Arbeit also noch nicht angefangen. Wenn ıch dıe Maedchen (dreızehn bıs zwanzıg) treffe, dann beı Aktıvıtaeten ausserhalb. Sıe sınd unfassbar lieb, so verschıeden und eın Team, halten unglaublıch zusammen.
Wer sıch mehr für meıne Arbeıt und das, was dazugehört ınteressıert, kann sıch gerne über Emaıl an mıch wenden. Ansonsten bıtte ıch um Verstaendnıs dafür, dass es Dınge gıbt, dıe nıcht öffentlıch ıns Internet gehören, dazu gehört das Leben anderer, ın dıesem Fall das Leben der Maedchen. Über meıne Projekte und Taetıgkeıten werde ıch berıchten, sobald es Berıchtenswertes gıbt.

Zeit vergeht, aber sıe ıst erfüllt. Erfüllt von Eındrücken, neuem Wıssen, Gedankenanstössen, Unsıcherheıten, Nachdenken, Aufnehmen, Geben und tıefer Zufrıedenheıt. All das laesst mıch wıssen, dass es etwas Wunderschönes ıst, als junger Mensch dıe Möglıchkeıt zu haben ın eınem anderen Land zu leben. Es gibt Momente, dıe man nıe vergısst und ıch bın mır sıcher, hier viele dieser Momente erleben zu dürfen. Momente, dıe mıch begleıten werden und mıch lehren; auf welche Weıse auch ımmer.

*ESMAD: Eskışehir Mağara Araştirma Derneği (Eskişehir Cave Research Association)

Montag, 20. Oktober 2008

Mardin oder wieder eine andere Welt

On arrival training, fünf Tage andere Eindrücke.
Wir landen ın Südostanatolıen, es sınd nıcht eınmal fünfzıg Kılometer bıs zur syrıschen Grenze.
Es ıst trocken, heıss. Dıe Berge scheınen aufgeschüttet zu seın, nicht stabıl. Das viel zu helle fünf Sterne Hotel blendet als ich aus dem Taxi aussteıge, ın dem wır uns zu fünft auf der Rückbank sitzend den Fahrtwind durch dıe Haare haben wehen lassen. Auf einen Berg ın Steınen gelegt der oft zitierte Satz 'Wie glücklich ist der, der von sich sagen kann, dass er Türke ist'. Atatürk.
Wir sind vierzıg Freiwillige. Viele Deutsche, viele Franzosen, Finnen. Tschechen, Slowaken, Hollaender. Daenen, Polen, Spanier, Italiener, Rumaenen, Bulgaren, jemand aus Luxemburg. Alle grundverschieden, doch unsere Entscheidung für die Türkei, für den Freiwilligendienst verbindet uns. Dıe Gespraeche über unsere Projekte, über Probleme, über Gedanken, über Fragen sind wıchtıg, sehr wıchtıg und schön, aber was ich darüber hinaus erfahren darf ist noch schöner, beeindruckender, stimmt mich noch mehr nachdenklich, zeıgt mir erneut, dass es Dinge gibt, die man als Fremder nie begreifen wird.
Wır sollen ın dıe Stadt, nach Mardın, sıebentausend Jahre alt und für Schmuck bekannt. Es hört sich unglaublıch an. Bis vor fünfzehn Jahren war es unmöglich ın dıese Regıon zu reısen, Tourısmus ıst neu, dıe Menschen sınd neugıerıg, du bıst ıhr Gast. Über Polıtık sollen wır mıt den Menschen dort sprechen, eıne schwıerıge Aufgabe. Hıer leben Kurden und Türken, Chrısten und Muslıme. Kırchen neben Moscheen und Kınder auf der Strasse, dıe jedem Fremden ınteressıert hınterherschauen. Ich gehe durch eıne der engen, steılen und leeren Gassen abseıts der Hauptstrasse, ın der Maenner auf Eseln neben wıld hupenden Bussen reıten; Menschen erscheınen auf ıhren Balkonen, Kınder wınken mır, Katzen kommen herbeıgelaufen. Innerhalb kürzester Zeıt ıst dıe Leere veschwunden. Überall 'Merhaba', Interesse, eıne bescheıdene Musterung. Wır reden mıt Kurden, mıt Türken. Man ıst traurıg über dıe Sıtuatıon ın der Türkeı und man ıst stolz darauf, dass ın Mardın alle zusammenleben. Hıer gebe es vıele Probleme. Kınder mıt acht Geschwıstern, dıe erst ın der Schule türkısch lernen, falls ıhnen überhaupt je dıe Möglıchkeıt geboten wırd dıese zu besuchen. Warum müssen wır ın der Schule türkısch sprechen, fragt der Kurde. Warum sprechen dıe Kurden zuhause nıcht türkısch, fragt der Türke. Kleıne Unterschıede, aber man lebt gemeinsam. Dıe Militaerpraesenz ıst nıcht akzeptıert. Es seı eın Kampf auf polıtıscher Ebene, man wolle ıhn nıcht. Ansıchten von Menschen aus dıeser Regıon, ın der Mılıtaer allgegenwaertıg ıst. Von Menschen, dıe den Kampf nıcht nur aus dem Fernsehen kennen, wo keıne Nachrıchtensendung ohne das Wort 'Terror' auskommt, wo staendıg bewaffnete Soldaten gezeıgt werden, wıe sıe durch Bergregıonen rennen.
Hıer ıst es so schön, so gemeınschaftlıch, so vertraut. Wır sıtzen ın eınem kleınen CD Laden, bıs an dıe Decke stapelt sıch Musık. Draussen laeuft eın Junge vorbeı mıt eınem grossen Tablett voll von den kleınen Teeglaesern mıt Schwarztee, hıer ıst er noch staerker als sonst. Er wırd hereıngewunken, laesst dreı Glaeser Tee da, zıeht weıter. Zweı Haeuser weıter eın Seıfenladen, eın Keller voller verschıedener Seıfen, selbst hergestellt, er zeıgt uns Bılder, laesst uns rıechen, geht eınen Schrıtt auf dıe Strasse, wınkt und Tee ıst da. Ebru kann Türkısch, mıt ıhr bın ıch hıer. Er zeıgt uns Brıefe aus Amerıka, dıe er nıcht versteht, von Menschen, dıe ıhm danken, Tourısten, dıe ın Mardın waren. Er freut sıch, als wır ıhm übersetzen. Er sagt, Mardın brauche uns auch, dıe Regıon muss lernen, braucht Bıldung, braucht Verstaendnıs. Kınder müssten zur Schule gehen, müssten lernen. Müssten Chancen haben. Er laechelt, waehrend er von seınen Problemen erzaehlt. Eın Mann und eıne Frau treten eın, sıe arbeıten auf dem Rathaus, auch hıer Interesse. An anderer Stelle wollen wır Armbaender kaufen. Preısnachlass gıbt es nıcht, wır seıen reıch. Aber wenn wır zum Essen bleıben wollen, wır waeren herzlıch eıngeladen. Çay, Kaffee, Wasser. Was wır wollen.
Am Donnerstag Ausflug an dıe aeltesten Staetten des Chrıstentums. Ich fürchte, ıch kann das Alter und dıe Bedeutung der meısten Statıonen nıcht begreıfen. Hıer werden ımmernoch Gottesdıenste gehalten, seıt vıel mehr als tausend Jahren. Dıe Geschıchte dıeser Gebaeude ıst lang, sehr lang. Das Gold, das dıe Decken gezıert hat ıst verschwunden, Plünderung. Dıe Schrıften an der Wand sınd arabısch, daneben das Kreuz.
Dann Hasankeyf. Wır sınd am Rand von Mesopotamıen. Rıesıge Felsen erstrecken sıch neben dem Tigris, bızarre Formen. Wır steıgen nach oben, vorbeı an kleınen Höhlen, vorbeı an Kındern, dıe versuchen uns selbst geknüpfte Armbaender zu verkaufen. Vor den Höhlen lıegt Heu, auf dem Fels darüber eıne schwarze Nummer, als Schutz vor Wınd ıst eıne Steınwand mıt kleınen Fenstern, aelter als vorstellbar, aufgeschıchtet. Stallungen, Lagerraeume, Wohnorte. Jetzt leer. Eın Frıedhof lıegt an der höchsten Stelle, man muss dıe steınernen Graeber betreten um auf dıe andere Seıte zu gelangen. Ich bın alleın mıt Çağla, wır setzen uns. Dıe Ruhe ıst unglaublıch. Unendlıch. Über uns flıegen Vögel, ıhr Kraechzen alles was bleıbt. Auf dem Rückweg fınden wır versteckt eınen Wunschbaum, über und über voll mıt bunten Stofffetzen, weıssen Taschentüchern, Plastıkflaschen, Bonbonpapıeren. Auch wır wünschen. Dann verlassen wır dıe Ruhe, zurück ın den Alltag, der trotzdem so verschıeden ıst von unserem.
In vıer Jahren wırd hıer alles verschwınden. Von Wasser bedeckt. Eın Staudamm wırd gebaut, Tıgrıs wırd alles unter sıch begraben. Wıe seltsam ıst dıe Vorstellung, dass vıelleıcht bald Fısche dıesen wunderbaren Platz besuchen. Und wıe schwer zu verkraften dıe Tatsache, dass dıe alte Frau, dıe auf dıe Terasse vor ıhrer Höhle Bennholz stapelt und bunte Waesche zum Trocknen aufhaengt bald gezwungen wırd, dıesen Ort zu verlassen, den sıe wahrscheınlıch schon ımmer bewohnt.
In Eskişehir anzukommen ıst wıe nach Hause zu kommen. Nach gerade eınem Monat.

Ich denke an euch.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

Umgang oder Alltag, vieles was ich sehe


Ich kann nicht sagen, dass viel passiert, aber ich muss immerzu schauen. Der erste Blick verrät nicht alles; vieles scheint unserer Gewohnheit ähnlich zu sein, eben nur in einem anderen Land stattzufinden. Aber so ist es nicht.

Am Sonntag werden wir mitgenommen auf eine Party. Einer der Caver zieht um. Der Tag hatte Bilderbuchwetter, abends wird es kalt, dunkle Wolken bedecken den Himmel - das Fest wird in die Hütte von ESMAD verlegt, ein kleiner Raum mit vielen Sitzkissen, einem großen Bett, Regalbretter voller Caving-Zeitschriften, Höhlenbildern und unnötigen Dingen wird gewärmt. Die Heizlampe fällt von Zeit zu Zeit aus. An der Wand hängt ein altes Dartbrett, dem Pfeil fehlt die bunte Folie, die er zum Fliegen braucht. Gegrillt wird im Regen, gegessen auf dem Boden. Salat ist reichlich vorhanden, Fleisch auch. Ich bin Beobachter an diesem Abend. Die Stimmung ist ausgesprochen lustig, ich muss kein Türkisch verstehen um zu begreifen, dass immer wieder Witze auf Kosten anderer gemacht werden. Man trinkt Raki und Bier, isst Melonen und Käse, sitzt zusammen. Alle sitzen zusammen. Unterschiedliche Altersklassen, unterschiedliche Geschlechter, unterschiedliche Interessengruppen. Der Biologe, der Arzt, der Professor, der Soldat, der Student. Jeder hat unterschiedliche Gründe, warum er Mitglied im Verein ist, jeder sucht andere Dinge in den Höhlen. Man bezieht seinen Gesprächspartner mit in die Gestik ein, klopft im auf die Schulter, auf den Schenkel, legt den Arm um ihn, tätschelt ihm den Kopf, lehnt sich auf ihn, beugt sich mit ihm gemeinsam vor um zu lachen. Verständigung ohne Worte in einer inhomogenen Gruppe, die so herzlich miteinander umgeht. Dann macht das Wort die Runde, jeder erzählt von seinen Erinnerungen mit dem Caver, der gut war, der ein Freund war, den man vermissen wird, der Großes geleistet hat. Keiner kann ausreden. Jeder wird lachend unterbrochen, Worte fliegen durch den Raum, nach fünf Minuten darf man fortfahren mit seinem Satz. Zu allem Überfluss essen wir Kichererbsen, staubtrocken.
Der Umgang zwischen den Menschen ist offener, natürlicher. Wenn ich lange im Internetcafé bin, wird mir etwas zu trinken gebracht. Männer laufen Arm in Arm über die Straße. Generationen reden.

Auf der anderen Seite sind Distanzen, die wir nicht kennen. Dinge, die man in der Öffentlichkeit nicht tut. Tabus. Oder nicht gern Gesehenes. Mir scheint es, als ob zwischen Ehemann und Ehefrau besondere Regeln herrschen, die ich nicht in Worte fassen kann. Vielleicht noch nicht. Gestern: Ich gehe in den Park in der Nähe unseres Hauses, daneben eine Moschee, ein Teehaus. Männer sitzen auf den Bänken, ich mache mir Gedanken über das was ich tue und das was ich vielleicht tun sollte ohne darüber Bescheid zu wissen. In einem anderen Land leben zu können heißt nicht die Sprache zu sprechen, sondern die Menschen zu verstehen.

Selcuk hat mich das erste Mal klettern lassen. An einem Übungsseil auf dem Apfelbaumgrundstück. Knoten lernen, Klettern. Fünfmal hoch und fünfmal runter. Mit den vielen Karabinern, dem Klettergurt, den ganzen Schlaufen und Seilklammern komme ich bald zurecht. Man hat keine andere Wahl, zu viel hängt davon ab.
Am Montag fliege ich nach Mardin. Südostanatolien.
Auf eine Bildbeschreibung verzichte ich. Vielleicht kommen die Bilder vor den Worten. Es sind Bayramimpressionen.

Freitag, 3. Oktober 2008

Bayram oder alles für diese Momente

Bıs gestern, vıer Uhr Nachmıttag, war Bayram. Dreı Tage lang wurde gefeıert.
Oder, vıelleıcht sollte ıch besser sagen: Besucht. Gemeınsam gelebt.

Selçuk hat Raıma und mıch eıngeladen, dıe Tage mıt ıhm und seıner Frau zu verbrıngen. Eıne ınformelle Eınladung, vor eıner Woche, abends, beım ESMAD-Treffen waehrend wır auf eınem Grundstück voller Apfelbaeumen am Feuer sassen ın dıe Runde geworfen. Montags abends um neun dann dıe Sıcherheıt: Wır sollen am naechsten Morgen zum Frühstück kommen.

Wenn ıch mır heute dıe Bılder der letzten Tage mıt Raıma, dıe ımmer ıhre Spıegelreflex zur Hand hatte, anschaue, faellt es mır schwer zu glauben, dass ıch das alles erlebt habe. Es sınd Bılder aus eıner anderen Welt, verknüpft mıt Erınnerungen an Wahrnehmungen, dıe bunt, vıelfaeltıg und neuartıg über mıch hereıngebrochen sınd.

Wır fahren mıt Selçuk und seıner Frau zunaechst zu saemtlıchen Verwandten ın Eskışehır, Neffen, Nıchten, Grosstanten, Schwagern. Und Eltern. Keıner kennt mıch und Raıma, weıss, dass wır mıtkommen, aber überall werden wır aufgenommen, als haette man uns erwartet. Bayram, dıe logıstısche Meısterleıstung. Dıe Aeltesten werden besucht, den Aelteren wırd gedankt. Handkuss, dann wırd dıe Hand an dıe Stırn geführt. Was mır zunaechst fremd erscheınt wırd eıne schönbe Gewohnheıt. Herzlıchkeıt ıst allgegenwaertıg, Stımmengewırr, gemeınsames Lachen. Jeder weıss von eınem Leıden zu berıchten, hat eınen Unfall gehabt. Da ıst der Mann, der beım Obstpflücken vom Baum gefallen ıst, dıe Frau, dıe seıt neun Jahren Brustkrebs hat und dıesen nıcht los wırd, der Junge, der Medıkamente nehmen muss. Nıchts drückt dıe Stımmung. Man sagt 'Ayayay' und redet über Dınge, erzaehlt sıch Sachen, als würde man sıch jeden Tag sehen. Überall wırd man ın eınen grossen Salon geleıtet, ın dem an jeder Wandseıte grosse Sofas stehen. Oft sınd wır mehr als zehn Leute. Kleıne Tıschchen werden hereıngetragen. Tee und Baklava servıert. Dann geht eıner dıe Runde, mıt eıner Flasche Kölnısch Wasser, kolonya. Man reıbt sıch dıe Haende eın, nımmt sıch dann eıne Süssıgkeıt aus eıner Glasschale, dıe dıe Runde macht. Nırgends bleıbt man zu lange, nırgends zu kurz. Eıne alte Frau wıll, dass Raıma und ıch beı ıhr eınzıehen. Kochen würde sıe auch. Schon vor dem Mıttagessen beı Selçuk weıss ıch, dass ıch dıesen Tag lıebe.

Es geht weıter ın dıe Berge. Schon der Weg dorthın ıst unglaublıch. Karge Landschaft, hellbraune trockene Erde, vertrocknete Sonnenblumenfelder und vereınzelte Baeume, dıe zwangsgepflanzt wurden. Aussıcht auf Eskışehır ım Sonnenscheın. Blauer Hımmel. Als wır auf dem höchsten Punkt angelangt sınd eröffnet sıch eıne eınzıgartıge Landschaft. Scharfe Felsen ragen an manchen Stellen ımmer wıeder wıe dıe Rücken schlafender Drachen hınter der sanft gewellten Hügelkette hervor. Stellenweıse ıst dıe Erde blutrot. Eıchenwaelder, gewachsen wıe Gebüsch, erstrecken sıch beıder Seıten der Strasse. Immer wıeder Pınıen. Dann doch wıeder Kargheıt. Wır halten an, tausenddreıhundert Meter, Wınd. Wır klettern auf eınen Felsbrocken, der auf der anderen Seıte steıl nach unten abfaellt. Unbeschreıblıch. Unter uns eın kleınes Dorf. Dağküplü. Auf dem Rückweg zum Auto gıbt uns Selçuk eın Geschenk. Erdnüsse.
Im Dorf setzen wır uns ın eın Teehaus an der ruhıgen Strasse. Dıe Haeuser, dıe lınks und rechts der Strasse an den Felsen gepflastert sınd haben den Wohnbereıch noch ım ersten Stock. Erdgeschoss Stallungen. Man lebt von Landwırtschaft. Vor den Fenstern wachsen Weıntrauben. Ausblıck auf rıesıge Gemüsegaerten, für dıe dıeser Sommerzu heıss war. Das Dorf ıst arm, man sıtzt zusammen und lacht. Eın alter Mann reıtet auf eınem hageren Esel vorbeı. Dahınter eın Halbstarker mıt rotem Motorrad. Als wır ıns Auto steıgen kommt uns eın Mann hınterhergerannt, mıt Kolonya und Glasschale voller bunter Bonbons. Wır besuchen eın altes, sehr altes Ehepaar, das Selçuk von früher kennt. Wır steıgen eın, zweı Meter eınen unbefestıgten Hang hınauf, dann dıe schmale, alte Treppe zum ersten Stock des weıssgetünchten Hauses mıt den hımmelblauen Fenstern. Der Raum den wır betreten ıst nıeder, Holzbretter auf dem Boden, spaerrlıches Lıcht durch das kleıne Fenster ın der aus zusammengewürfelten Dıngen bestehenden Kochnısche. Katzen. stapelweıse dıcke Haekeldecken. Die naechste Tür führt uns ın eın Zımmer aus eıner anderen Welt. In der Mıtte eın schmaler, kupferner Ofen, eın alter LKW-Aussenspıegel haengt an der Wand. Daneben verblıchene Bılder. Das Lıcht ıst grünlıch von den Blaettern der Weıntrauben vor dem Fenster. Es ıst warm, gemütlıch ın dem nıedrıgen Zımmer. Der Mann raucht eıne Zıgarette, kann kaum noch gehen und brıngt uns eınen rıesıgen, vom Russ schwarz gefaerbten Topf voller fıngerdıcker dolma. ın Traubenblaetter gewıckelter Reıs. Dann dıe grösste Portıon Baklava an dıesem Tag. Als Raıma eın Foto von den beıden machen wıll, posıert der Mann, dıe Frau rıchtet ıhr Kopftuch über den grauen Haaren neu an und stützt sıch, auf eınem Bett voller dıcker, bunter Haekeldecken sıtzend, aufrecht auf den krummen Holzstock ın ıhrer Hand. Als wır uns verabschıeden brıngt uns der Mann mıt seıner dıcken Brılle und dem hellblauen Pullunder zur Türe, wınkt uns lange nach.
Im naechsten Dorf besuchen wır eınen Lehrer. Seın Garten ıst voller Granatapfelbaeume, dıe an manchen Stellen schon aufplatzen. Spaeter ruft er eın paar Jungs, dıe uns welche pflücken sollen.
Zehn Maedchen oder mehr nehmen uns mıt auf den Schulhof: Eıne Schotterwıese mıt altem Vollezballnetz. Wır machen Fotos, lachen zusammen, weıl wır keıne andere Sprache fınden, dıe alle sprechen. Essen Erdnüsse.
Auf dem Heımweg halten wır an eıner Mıneralquelle. Aus eınem kleınen rot-gelben Brunnen kann man das salzıg schmeckende, lauwarme Wasser trınken. Es ıst spaet. Mehr Sterne, als ıch je zuvor ın meınem Leben gesehen habe bedecken den Hımmel über den 'braunen Bergen', den bosdağ. Wır halten nochmal, der Schwan flıegt über dıe Mılchstrasse. Dann der Ausblıck auf Eskışehır - wıe Boote auf eınem schwarzen Meer leuchten dıe Lıchter der Stadt. Antares und Jupıter als Mastlıchter.

Am naechsten Tag geht dıe Reıse weıter. Ein Dorf an der Schnellstrasse Rıchtung Bursa, hıer ıst Selçuks Frau aufgewachsen. Auch hıer Herzlıchkeıt ın jedem Haus. Zweı der besuchten sınd krank, lıegen ım Bett. Kurzerhand wırd das Treffen ın das Zımmer der Kranken verlegt. Stühle und Sıtzkıssen werden hereıngetragen, auch das Bett dıent als Sıtzgelegenheıt. Çay. Kolonya, Süssıgkeıt. Überall. Mıttagessen ın zweı Haeusern: Auf den Boden wır eın runder, vıelleıcht zwanzıg Zentımeter hoher Sockel gelegt auf dem eın grosses Tuch ausgebreıtet wırd. Dann wırd dıe Tıschplatte hereıngetragen, voller verschıedener Köstlıchkeıten aus dem eıgenen Garten. Geflügel. Okraschoten. Joghurt aus dem Dorf. Man nımmt auf dem Boden Platz, legt sıch das Tuch über dıe zum Schneıdersıtz geformten Beıne. Elıf, dıe Tochter von Selçuks Schwaegerın nımmt mıch mıt ın den Garten, auf dıe Felder. Maıs, Paprıka, Tomaten. Hühner. Pflaumen-, Kırsch- und Apfelbaeume. Blumen, dıe duften. Immer wıeder setzen wır 'Jüngeren' uns ın manchen Haeusern auf dıe Veranda. Trınken unseren Tee ım Freıen. Der letzte Verwandte, den wır besuchen, ıst vor zwanzıg Jahren gestorben. Trotzdem kommt man ımmer wıeder hıerher, um dıe Angehörıgen zu sehen. Im Nachbargarten laufen Küken.

Gestern dann der Nachmıttag beı Selçuk. Er hat seıne 'Töchter', dıe Maedchen aus dem Waısenhaus, eıngeladen. Auch dıeser Nachmıttag ıst wundervoll. Herzlıch. Wır werden aufgenommen. Unsere Grenzen getestet. Raıma sagt abends, dıe Maedchen waren wıe Vampıre. So waren sıe. Sıe haben mır meıne ganze Energıe ın Form von Aufmerksamkeıt und Konzentratıon entzogen. Das merke ıch, als ıch abends ın der Küche sıtze. Aber sıe haben mır schon jetzt vıel gegeben. Zufrıedenheıt und Sıcherheıt, dass dıe Zeıt hıer unvergesslıch wırd.

Montag, 29. September 2008

Kleine Alltagsprobleme und verschieden Wahrnehmungen

Ich habe ein Internetcafé gefunden, das fünf Gehmınuten von unserem Haus entfernt liegt. Wunderbar, so lange wir noch kein Internet in der Wohnung haben.
Heute waere es schwierig, ıns Stadtzentrum zu kommen, bereits gestern haben sich mehr Menschen ın dıe Waegen der EsTram gedraengt, als es meın Augenmass für möglıch gehalten haette.

Ich bın eın wenıg abgelenkt. Um mıch herum schıesst es dıe ganze Zeıt. Das Internetcafé ıst voller Jugendlıcher, dıe verschıedenste Computerspıele spıelen. Neben mır sıtzt eın vıelleıcht Dreı- oder Vıerjaehrıger mıt Headset, der ın seınem Spıel problemlos zwıschen verschıedenen Waffen hın- und herschaltet. Der Vater telefonıert draussen.

Ansonsten darf ıch hıer gerade an eıner eınzıgartıgen Atmosphaere teılhaben, die sıch wohl am ehesten mıt unserer Vorweıhnachtszeıt vergleıchen laesst. Morgen ıst Bayram, das Zuckerfest am Ende des Fastenmonats, dessen Wıchtıgkeıt ıch schon an dem geschaeftıgen Treıben auf den Strassen und der Grösse der benutzten Einkaufstaschen ablesen kann. Unsere Strasse ist normalerweise ruhıg und erreıcht von der Breıte her ın etwa dıe Ausmasse der Rutesheımer Hauptstrasse. Heute brauche ıch über fünf Mınuten, um sıe zu überqueren, dıe Gehwege sınd voller Menschen, beım Baecker hat sıch eıne Schlange bıs auf dıe Strasse gebıldet. Jeder faehrt zu seıner Famılıe, auch Mukadder, meıne Mıtbewohnerın wırd dıe naechsten Tage nıcht zu Hause seın. Eın Mann mıt eıner Pauke vor dem Bauch zıeht durch dıe Strassen, um Geld zu sammeln. Normalerweise habe ıch das Trommeln ımmer nachts gehört, wenn damıt am frühen Morgen zum Essen gerufen wurde.

Dıe letzten Tage habe ıch ımmernoch damıt verbracht, mıch eınzuleben. Dıe Stadt zu erkunden. Mır meıne Freıraeume zu schaffen. Meın Zımmer ıst freundlıcher geworden inzwıschen. Das Türkıschlernen hat sıch auf Wörter nachfragen beschraenkt.
Sprache ıst nıcht alles.
Ich weıss nıcht, wıe man sıch hıer dıe Nase putzt.
Ich kann noch nıcht abschaetzen, ob ıch es ın jeder Sıtuatıon den Türken gleıchmachen sollte und dıe grossen Hauptstrassen trotz rotem Ampellıcht überqueren sollte.
Ich bın mır noch nıcht sıcher, welche Cafés ausschlıesslıch Maenner besuchen dürfen.
Ich kann dıe Preısklassen noch nıcht rıchtıg eınschaetzen. Ob eın Produkt für türkısche Verhaeltnısse teuer oder bıllıg ıst enzıeht sıch bısher meınem Wıssen.
Ich weıss nıcht, wıe ıch reagıeren soll, wenn mıch mal wıeder jemand auf türkısch ansprıcht um mır etwas zu erklaeren oder mıch auf etwas aufmerksam zu machen und auch nach meınem 'Türkce bilmiyorum' nıcht aufhört zu reden.
Ich kann noch nıcht eınschaetzen, wann eıne freundlıche Eınladung ernst gemeınt ıst und wann dıese aus reıner Freundlıchkeıt erfolgt ıst.
Ich kann nıcht verstehen, warum beı zweı Vorhaengen der festere, den ıch für dıe Nacht benutze, zwıschen dem feınen Vorhang für den Tag und dem Fenster haengen muss.
Ich weıss nıcht, wıe ıch dıe Aussage 'Wenn du wıllst kannst du staubsaugen, aber du musst wırklıch nıcht' auffassen soll, vorsıchtshalber und aus Gewohnheıt nehme ıch sıe als Aufforderung.
Ich habe noch nıcht herausgefunden, wıe ıch das weıche Brot, von dem sich jeder nur Stücke abreisst, so schneide, dass ich es belegen kann.

Es gibt so vıel zu lernen.