Samstag, 24. Januar 2009

Eine Stadt: Seyitgazi, Vergangenes aufarbeiten (2)

Eine halbe Stunde fahren wir mit dem Bus, vor der Haustüre hat er gehalten, durch eine Landschaft die geprägt ist von Vergangenheit, die ein Mensch kaum erfassen kann. Und links und rechts der Straße fliegen immer wieder Häuser vorbei, Häuser, die stehen ohne das man weiß warum, mit Dächern, die die Bewohner wohl frieren lassen.

Mit meiner Schwester will ich mir die alte Moschee anschauen, eine der ältesten, die zu finden sind. Früh morgens kommen wir an, vielleicht um neun, so früh, dass die kleine Stadt, sehr kleine Stadt, noch schläft, Nebel über ihr liegt, zu früh für die Türkei in dieser Welt. Auf einem Hügel, bewachsen von grauem, trockenen Gras liegt sie ruhig über die Stadt, vergessen, stiller als still, schaut nach unten und scheint in sich selbst versunken. Ein einzelnes Schild weist in Richtung Stadtzentrum, ein trockener Platz, in dessen Mitte verlassen ein Atatürk Denkmal steht, die Straße dorthin gesäumt von kleinen Kaffe- und Teehäusern, düster, verraucht, die Fenster, Schaufenster trübe. Wir laufen los, ohne zu wissen wohin, neben der Straße ein kanalisierter Bach, Steinmauern, es kräht ein Hahn und ein Mann kommt uns entgegen. Er zeigt uns den Weg nach oben, zu ihr, der Moschee, er müsse zur Arbeit, sonst würde er uns gerne begleiten. Treppe nach oben, Ausblick über das verlassene Dorf mit einstöckigen Häusern, bunt getüncht, dort rosa, dort lavendel, dort mintgrün, Rauch aus Schornsteinen, auf der anderen Seite ein Berghang, in weißen Kieseln der türkische Halbmond gelegt.

Wir betreten das Gebäude, eine ganze Anlage mit Mittelhof, gesäumt von Gräbern, Lehrräumen, Gebetsraum, Bäckerei...und der eigentlichen Moschee selbst. Du stehst da, Ruhe, Ruhe, Hinweisschilder, die die arabischen Inschriften auch auf englisch übersetzen und doch scheint es so, als ob hier schon lange kein Mensch mehr gewesen sei, als ruhe etwas für sich selbst, das Alter nicht zu fassen, die Aussicht ins Nichts nimmt dich mit.

Es ist Januar und Frost bedeckt die Wiese, die kahlen Bäume auf dem Hügel außerhalb der Moschee, wir steigen ihn hinauf, einen Weg gibt es nicht, oben ein Bildnis Atatürks, die rote Flagge mit dem weißen Halbmond daneben weht langsam im Wind, fällt immer wieder in sich zusammen. Weiße, vor langer Zeit von Menschen bearbeitete Steine liegen da, Schädelknochen von Tieren, vereinzelt, vielleicht Ziegen, Stacheldrahtzaun und Niemandsland.
Auch einen Piknikplatz gibt es, Bänke, Tische, einen Brunnen, wohl für Besucher im Sommer, schwer vorzustellen, dass es hier lauter sein kann als still.

Zurück in der Stadt, wir wollen Tee trinken bis der Bus kommt, da treffen wir erneut auf den Mann vom Morgen, er nimmt uns mit in den Friseursalon seines Freundes, ein einfacher Raum, ein wenig dunkel, zwei große Spiegel an der einen Wand, ein altes Sofa an der anderen und in der Mitte des Raumes ein vom Ruß geschwärzter Holzofen. Nach draußen wird gewunken, zwei Minuten später kommt unser Tee, silbernes Tablett mit zwei langen Drahthenkeln zum tragen. Der Frisör packt seinen Labtop aus, wir reden ein wenig. Aus der Stadt kommt er, dort hat er noch einen Frisörsalon, hier ist er unter der Woche, am Wochenende in Eskisehir. Frauenfriseur sei er, momentan sitzen wir jedoch im Mänerfrisörsalon, so ist das, ein Kunde kommt. Wir gehen als es hupt, so laut dass die ganze Stadt weiß: Gleich fährt der Bus. In die Stadt. Nach Eskisehir.

Mittwoch, 14. Januar 2009

Mein "Noel", Vergangenes aufarbeiten (1)

Die für mich wohl unbedingt wichtigste Sache soll am Anfang genannt werden. Meine Arbeitsgenehmigung, oder das Papier, das mir endlich den legalen Eintritt ins Waisenhaus genehmigt, ist da – seit dem 24. Dezember und somit haben mir die türkischen Behörden auch trotz des nicht gefeierten Festtages ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk gemacht.

So ganz richtig ist die Aussage bezüglich Weihnachten dennoch nicht. In den letzten Dezembertagen sind zunehmend mehr Lichterketten aufgetaucht, Plastikweihnachtsbäume mit bunten Kugeln hinter denen ein fröhlich winkender Nikolaus den Passanten zuwinkt hielten Einzug in den Schaufenstern und das Wort „Noel“* ist im Sprachwortschatz der Türken aufgetaucht. Und es hat mich verwirrt, vor allem wenn auf Englisch von „Christmas“ gesprochen wurde, von dem Plan für diesen Abend und das auch noch nach dem 24. Dezember.
Gefeiert haben wir „Noel“ dann zweimal. Die erste, für uns terminechte Feier bei uns zu Hause, zu der Raima, meine litauische Mitfreiwillige eingeladen hat, mit Oblaten, viel Salat, und kleinen Geschenken und ein zweites Mal an unserem Sylvester, das hier den Namen Weihnachten tragen darf.

In einem dreistöckigen Lokal (fast jedes Lokal hat mehrere Stöcke oder Hinterräume, von denen man vielleicht wissen muss um die Treppe zu finden, die dorthin führt, auch wenn sie offensichtlich am Raumende auf Besucher wartet; dafür sind die einzelnen Stockwerke dafür meistens klein, übersichtlich), oben, mit Essen, das über den ganzen Abend dauert, deshalb, weil man immer dann isst, wenn man Lust hat, immer dann, wenn man eben wieder etwas auf seine Gabel spießen will, und zwischendurch Tanz, Alkohol, viele Fotos und Lachen im ESMAD-Kreis. Ein Geiger, einer, der ein uns unbekanntes, Sopransaxophonähnliches Instrument spielt, einer mit Tamburin laufen zwischen den Tischen, spielen fröhlich die von den Feiernden in die Runde geworfenen Lieder und viele mehr, warten auf Tanzende und gesellen sich neben dich wenn du nicht mehr sitzt. Und dann immer wieder doch hinsetzen, vielleicht ein bisschen essen um für das nächste Lied gleich wieder aufzustehen.
Um zwölf kein Feuerwerk, nicht nach draußen gehen - vielleicht hat bei den vorherrschenden minus zwanzig Grad auch einfach keiner große Lust dazu – dafür aber mit bunter Folie beklebte, kegelförmige Hüte, Tröten in passender Farbe, die sich war entrollen aber keinen Ton von sich geben und Masken, die, die für dich Augen nur schmale Schlitze lassen, über der Nase aufhören und bogenförmig in Richtung Ohr spitz zulaufen.

Und dann wäre ESMAD nicht ESMAD wenn man danach nach Hause gehen würde.
Wir haben in den letzten Wochen, erst in dreitägiger Arbeit mit Camp, danach weitere drei Einzeltage Selcuks Hütte fertig gebaut, dort, wo sie tatsächlich stehen soll: In der Ruhe selbst, an einem kleinen Bach, der fröhlich über graue Steine plätschert und so den ein oder anderen natürlichen Whirlpool geschaffen hat, der im Sommer schon auf uns wartet, dort, wo ich mein Wasser aus dem fünfhundert Meter entfernten Brunnen an der Straße, die über den Berg führt holen kann, Wasser vom Berg, dort wo noch Bären leben sollen, was Selcuk jedem, der schnell Angst vor nächtlichen Angriffen bekommt, lachend erzählt, dort, wo man früh morgens Frauen mit ihren Eseln Holz aus dem Wald holen sehen kann, dort, wo das Leben einen anderen Rhythmus hat – und einen anderen Wohlstand.
Um drei oder vier nachts sind wir dorthin aufgebrochen, im langsamen Tempo über die von Schnee bedeckten Straßen, bei Kälte, die dir die Luft abschneidet, wenn du kurz die Autotüre öffnest, weil man durch die beschlagenen Scheiben nicht erkennen kann, wie weit das Auto der anderen hinter uns entfernt ist. Fußweg durch Schnee und Natur zur Hütte, dann zu fünfzehnt auf sieben Quadratmetern sitzend, redend, erzählend, lachend mit Petroleumlampe und Teelichtern, dann auf zwei Stöcke verteilt wie Sardinen in einer Dose, aber noch lebend, schlafend. Morgens aufstehen, gehen, gehen und mit Tomaten und Salat von den ansässigen, Landwirtschaft betreibenden Menschen wieder zurückkommen, essen.
Wir fahren wieder, in das Tal auf der anderen Seite, dort wo ein Klima wie am Mittelmeer, wie in Antalya herrscht, dort wo sich am Sakarya Felder säumen, halten dort, reden mit einem Mann, der mit Katzen in einer Hütte mit drei Wänden neben seinen Feldern wohnt, pflücken Spinat und Salat, lassen uns seine Gewächshäuser zeigen, die so simple und geniale Funktionen haben – er sagt: was soll er woanders. Hier hat er Fisch und Tomaten umsonst. Danach Hamam in Saricakaya, wo eine natürliche, mineralreiche Quelle ist, Hamam, das türkische Bad, was jeden wieder aufwärmt, Pide mit Käse und dann die Rückfahrt bereits im Dunkeln.

Meine Schwester war da, über Noel, der Plan nach Pamukkale und umliegende Städte des alten Griechenlands zu fahren wurde von Schnee vereitelt, der die Straßen bedeckte, weißer Schnee, so wunderbar für Schneeballschlachten geeignet, und für heißen Tee. Gemeinsam sind wir nach Seyitgazi und nach Istanbul, zwei Städte, wie sie verschiedener vielleicht nicht sein können. Mit Menschen, die sich dem Charakter der Stadt anpassen – oder vielleicht ist es auch andersrum.
Ich werde schreiben.

*„Noel“ ist ein Wort, das wie viele andere Worte der türkischen Sprache aus dem französischen stammen muss; wenn man nach ihnen sucht, findet man sie…: tuvalet, kuaför, şarküteri, ekip, kask, ekip und şoför lassen mich immer ein bisschen lächeln, wenn ich sie höre, zunächst fremd erscheinen und ich dann plötzlich doch so einfach die Bedeutung herausfinden kann.

Montag, 12. Januar 2009

vergessen, verpasst, verschoben

Nachdem ich in den letzten Wochen zugegebenermaßen auf dieser Seite nicht besonders aktiv gewirkt haben muss, habe ich inzwischen den Entschluss gefasst meine Selbstdisziplin im Bezug auf das Schreiben von neuen Posts auf diesem Blog erneut zum Einsatz zu bringen, was euch neue Einträge in den nächsten Tagen verspricht. :)